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Manas (2024)

Nirgends sicher – das dunkle Geheimnis um den Amazonas

Die Gefahr lauert hinter jeder Ecke. Die quälende Ungewissheit, nicht zu wissen, wann es wieder passiert. Die junge brasilianische Regisseurin und Drehbuchautorin Marianna Brennand Fortes zeichnet mit dem Film Manas genau dieses Bild vor den Augen des Publikums. Brennand, die eigentlich durch Dokumentarfilme, wie Francisco Brennand (2012) und O Coco, A Roda, O Pnêu e O Farol (2007) bekannt ist, trifft mit ihrem Spielfilmdebüt den Zahn der Zeit. Im Rahmen des 73. Internationalen Filmfestivals Mannheim Heidelberg hatte der Film seine Deutschland-Premiere. Zum einen ging der Hauptpreis International Newcomer Award und zum anderen auch der Student Award an den Film der jungen Regisseurin. Der Film hinterlässt etwas in den Zuschauer*innen, was sie nachhaltig fesselt.

Der 101-minütige Film Manas aus dem Jahr 2024 handelt von der 13-jährigen Marcielle, auch Tielle gennant. Tielle lebt mit ihrer Familie in einer Hütte auf der Insel Marajó im Amazonas. Als ihre Hängematte reisst, soll Tielle bei ihrem Vater Marcílio auf der Matratze schlafen. Zum Ersten mal darf sie mit ihm im Wald jagen gehen, doch als sie wiederkehren ist die junge Protagonistin wie ausgewechselt, weniger glücklich, weniger gesprächig. Im Laufe der Handlung kommt Tielle mit den Bargen in Kontakt, den Männern, die vom Festland kommen und auf den Frachtschiffen arbeiten. Diese Männer bezahlen junge Inselbewohnerinnen für Sex. Auch Marcielle lässt sich auf einen der Männer ein. Sie braucht Geld um ein Seil für ihre Hängematte zu kaufen, denn sie möchte nicht mehr bei ihrem Vater schlafen. Es gelingt ihr nicht, aus dieser Situation zu entkommen. Als vermeintlich letzten Ausweg will Marcielle die Chance ergreifen, mit ihrem Liebhaber zum Festland zu fahren, weg von ihrem Vater zu kommen und es somit ihrer älteren Schwester gleich zu tun. Auf dem Schiff wird sie von der Polizei gefunden. In einem Gespräch mit der Polizistin Aretha stellt sich heraus, dass Tielle von ihrem Vater misshandelt worden ist.

Brennand erzählt in einem Interview auf dem IFFMH, dass dieser Film das Ergebnis einer zehnjährigen Recherche über das Gebiet im Amazons ist. Im Zentrum ihres Spielfilmdebüts steht das grausame Unrecht, das unzählige heranwachsende Frauen täglich erfahren. Das Besondere bei Brennand liegt in ihrer Vorgehensweise und Arbeits­moral. Sie achtet ganz speziell darauf, dass die sexuelle Gewalt zu keinem Zeitpunkt visualisiert wird. Niemand sollte entstellt werden, so arbeitet sie mit viel Symbolik, die dem Film eine immense Aussagekraft ermöglicht. Die dörfliche Kirche steht sinnbildlich für die patriarchalen Strukturen des Staates und dessen Gleichgültigkeit gegenüber dem Wohlergehen der Frauen. In der Kirchenszene singt die Gemeinde ein Lied, in dem es darum geht, dass die Familie nicht zerbrechen darf. Man müsse sämtliche Probleme durchstehen, so auch die Missbräuche. Es geht um feste, vorherrschende Strukturen, gegen die man sich nicht auflehnen soll. Das Wohl der Familie steht über dem Wohl der Frau. Ganz im Kontrast dazu steht die Symbolik des Wassers, der Seen, der Meere, der Flüsse und Tümpel. Das Wasser symbolisiert den Frieden und hilft Tielle, zu sich selbst zurückzufinden. Schließlich trifft sie die eigenständige Entscheidung, der Gefahr ein Ende zu setzen, schwimmt aus eigener Kraft und findet dadurch ihre innere Stärke wieder. Durch intensive Geräusche der Flüsse und Bäche zeigt Brennand, dass das Wasser überall ist, jeder Zeit bereit Tielle in ihrer Flucht zu unter­stützen. Auch in der Schlüsselszene im Wald setzt die Regisseurin auf den Einsatz einer eindringlichen Geräuschkulisse: vereinzelt leises Trommeln, das Flüstern des Vaters, der schwache Regen, Marcílios Atem an Tielles Hals, dann der Schuss. Die Abfolge der Geräusche und der Eindrücke lässt alles ganz langsam wirken, wie in Zeitlupe und doch geht es auf einmal ganz schnell. Der erste Missbrauch des Vaters gegenüber seiner Tochter findet statt. Dieser wird durch den Schuss, die Jagd symbolisiert. Brennand verwendet viele Mittel, um den Missbrauch und die damit einhergehende psychische Belastung der Protagonistin darzustellen.

Brennand gelingt es zweifellos diese Thematik näher zu bringen. Ihr Ziel war es Empathie zu schaffen, der Film soll aufrüttelnd wirken. Es wird Verständnis für das Trauma junger Mädchen erzeugt auf eine bemerkenswerte Art und Weise. Die Regisseurin zeichnet einen Kontrast der Enge und Weite. Um den Film in seiner ganzen Vielfalt an Symbolen wahrzunehmen, ist es notwendig auf all die Details und Sinnbilder zu achten. Brennand ist sich treu geblieben, sie überzeugt durch ihre Arbeits­ethik, ihren Mut, sich jahrelang mit einem solch finsteren Thema zu befassen. Hinsichtlich der düsteren Thematik und der etwas komplexeren Form der Darstellung richtet sich der Film an ein eher erwachsenes Publikum und ist nicht für alle Alters­gruppen geeignet. Zusätzlich ist anzumerken, dass der Film auf portugiesisch ist, mit deutschen und englischen Unter­titeln. Aufgrund der Thematik, der Arbeit, die hinter diesem Film steckt, und der unzähligen Mädchen, denen durch diesen Film eine Stimme gegeben worden ist, ist der Film mehr als nur sehenswert.