Habilitationsprojekt Dr. Amina Kropp
Migrations- und mehrsprachigkeitssensible Professionalisierung von Fremdsprachenlehrkräften (MiMeS): LK-Kompetenz und Ausbildungsinhalte
Erwerb und Erhalt herkunftssprachlicher Kompetenz unterliegen erschwerten soziolinguistischen Bedingungen. Zudem werden Herkunftssprachen im Schul- und Bildungssystem marginalisiert und herkunftssprachige Mehrsprachigkeit mitunter als „Armutsmehrsprachigkeit“ abgewertet. Entsprechend unterscheiden sich Herkunftssprecher in Kompetenz und Einstellungen auch von anderen mehrsprachigen Fremdsprachenlernenden, weswegen der konstruktive Umgang mit herkunftsbedingter Mehrsprachigkeit im schulischen Fremdsprachenunterricht hohe Anforderungen an die Lehrperson stellt. Vor diesem Hintergrund fokussiert das Forschungsprojekt die besondere Kompetenz von Fremdsprachenlehrkräften aus einer primär linguistischen Perspektive. Hierfür wird einerseits ein migrations- und mehrsprachigkeitssensibles Kompetenzprofil modelliert, wobei ein besonderes Augenmerk auf das lehrkraftseitige Professionswissen gelegt wird; andererseits wird das aktuelle Ausbildungsangebot anhand einer eingehenden Dokumentenanalyse auf den Prüfstand gestellt.
Extended Abstract empirischer Arbeitsteil
Migrations- und mehrsprachigkeitssensible Professionalisierung von Fremdsprachen-lehrpersonen: Eine kritische Inhaltsanalyse universitärer Studiendokumente
Angesichts von Globalisierungsprozessen und Migrationsbewegungen stellt (migrationsbedingte) Mehrsprachigkeit im Klassenzimmer zunehmend den schulischen Normalfall dar. Im Sinne der „aufgeklärten Mehrsprachigkeit“ (Reimann 2015) erfordert ihre Einbindung in den Fremdsprachenunterricht eine ressourcenorientierten Perspektive der Lehrpersonen; dies gilt in besonderem Maße für Romanistinnen und Romanisten,1 die gewissermaßen „von Amts wegen zur Mehrsprachigkeit verpflichtet sind“ (Müller-Lancé 2013: 12). Demgegenüber ist für die Professionalisierung von Lehrpersonen weiterhin eine „problemfixierte Perspektive auf Migranten“ (Karakaşoğlu et al. 2017: o.S.) erkennbar, wobei „Förderung und Defizitkompensation“ (ebd.) im Vordergrund stehen (vgl. auch Doğmuş et al. 2018). Überdies zeichnet sich ab, dass Sprachförder- bzw. DaZ-Angebote im Rahmen der Lehramtsausbildung zu „defizitorientierten Sichtweisen auf Mehrsprachigkeit” (Busse 2020: 289) und einer „Fortsetzung des monolingualen Habitus“ (Maahs/Winter/Maier 2022: 47) beitragen können (vgl. z.B. auch Putjata et al. 2016). Mit Blick auf Fremdsprachenlehrkräfte zeigt der Forschungsstand zudem, dass das professionelle Wissen zu Mehrsprachigkeit im Migrationskontext und der wissenschaftliche Erkenntnisstand erheblich auseinanderklaffen und sich „[n]ur ein Bruchteil der Lehrkräfte […] auf den Unterricht mit mehrsprachigen Schülerinnen und Schülern gut vorbereitet [fühlt]“ (Bredthauer/Engfer 2018: 5; vgl. auch Hu 2003: 292–294; Kropp 2020, 2022). Diese Befunde stehen nicht nur im Kontrast zu einer positiven Sichtweise auf Mehrsprachigkeit, wie sie von (sprach)wissenschaftlicher und mehrsprachigkeitsdidaktischer Seite schon seit längerem vertreten wird (vgl. Tracy 2014; Jessner-Schmid/Allgäuer-Hackl 2020), sondern machen vor allem deutlich, dass die Ressourcen von (migrationsbedingter) Mehrsprachigkeit im schulischen Fremdsprachenunterricht oftmals nahezu ungenutzt bleiben.
Vor diesem Hintergrund widmet sich der empirische Arbeitsteil der Habilitationsschrift (Kap. 13 bis 18) dem universitären Professionalisierungsangebot für angehende Fremdsprachenlehrpersonen. Adressiert wurde die Frage, ob ein spezifisches migrations- und zugleich mehrsprachigkeitssensibles Angebot vorgesehen und wie dies inhaltlich ausgestaltet ist. Ausgehend von der o.g. „aufgeklärten Mehrsprachigkeit“ lag ein besonderes Augenmerk auf einer ressourcenorientierten Wahrnehmung sowie dem konstruktiven Umgang mit migrationsbedingter Mehrsprachigkeit für den schulischen Erwerb weiterer Sprachen. Hierfür wurden grundlegende Bezugstexte der ersten Phase der Lehramtsausbildung (Modulbeschreibungen, Veranstaltungskommentare) in sechs westdeutschen Bundesländern (B, BW, HE, HH, NW, SL; 23 Universitäten) einer eingehenden, kritischen Sichtung unterzogen. Berücksichtigt wurde ausschließlich das Ausbildungsangebot für das Lehramt an Gymnasien, das neben den sprachlichen Profilfächern (Fachwissenschaft und Fachdidaktik) auch die zugehörigen bildungswissenschaftlichen bzw. DaZ-bezogenen Studienanteile umfasst; der zeitliche Fokus lag dabei auf dem (Herbst)Wintersemester 2021. Mit der qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring (2015) wurde ein interpretativ-hermeneutischer Zugang gewählt, der eine tiefergehende inhaltlich-semantische Auswertung ermöglichte (vgl. auch vgl. Burwitz-Melzer/Steininger 2022); im Sinne eines mixed-methods-Ansatzes (Kuckartz 2014) wurde dieser primär qualitative Ansatz durch quantitative Teilanalysen ergänzt. Der Interpretationsrahmen gründete dabei nicht nur auf der linguistischen Expertise zum Thema (migrationsbedingte) Mehrsprachigkeit, sondern vor allem auch auf dem eigenen „Insider“- und Erfahrungswissen als Person mit Migrationshintergrund und Herkunftssprecherin.
Die Analyseergebnisse zeigen einerseits eine wenig differenzierte, primär defizitzentrierte Sichtweise auf migrationsbedingte Mehrsprachigkeit, worin sich o.g. Forschungsstand bestätigt; demgegenüber sind ressourcenorientierte Zugänge und (selbst-)kritische Auseinandersetzungen mit der vorherrschenden problematisierenden Perspektive nur marginal vertreten. Andererseits finden sich über die Fächergrenzen hinweg stark divergierende und z.T. vereinfachende Konzeptionen, die entweder migrationsbedingte Mehrsprachigkeit auf DaZ reduzieren oder aber mit institutioneller bzw. fremdsprachlicher Mehrsprachigkeit gleichsetzen. Diese konkurrierenden Vorstellungen werden im Rahmen des Studienangebotes nicht adressiert, was wiederum zu einer kognitiven Dissonanz und Fehleinschätzungen seitens der angehenden Fremdsprachenlehrpersonen beitragen kann. Entsprechend sind im Hinblick auf das vielschichtige Thema „Mehrsprachigkeit im Kontext von Migration“ grundlegende Differenzierungshilfen notwendig; dies schließt nicht zuletzt auch Begriffsarbeit zur Einordnung zentraler Termini (‘lebensweltlich‘, ‘herkunftsbedingt‘ etc.; vgl. Gogolin 2004) ein, deren Verwendung bereits innerhalb der jeweiligen Fachdisziplinen nicht einheitlich ist. Andererseits zeichnet sich ab, dass linguistische Grundlagen zu sprachenvernetzendem Lernen und interlingualem Transfer sowie zu Herkunftssprechern als besonderen Fremdsprachenlernern nur von marginaler Bedeutung sind. Dies betrifft in besonderem Maße die unzureichende Integration soziolinguistischer Forschungsperspektiven auf Herkunftssprachen, deren prekärer Status als „sociopolitical minority language“ (Rothman 2009: 157) sich nicht nur auf Spracherwerb und -erhalt, sondern auch auf sprachliche Praktiken (z.T. translanguaging) sowie auf sprachbezogene Einstellungen (z.B. Internalisierung negativer Fremdbewertungen) und Emotionen (z.B. heritage language anxiety) auswirken kann.
Angesichts dieser Ergebnisse lässt sich folgern, dass die universitäre Ausbildung angehender Fremdsprachenlehrpersonen ein eigenständiges, spezifisches Curriculum erfordert, das ein fundiertes Verständnis für Herkunftssprecher als besondere mehrsprachige Fremdsprachenlerner vermittelt und zugleich – ganz im Sinne o.g. „aufgeklärter Mehrsprachigkeit“ – einer valorisierenden, ressourcenorientierten Sicht auf herkunftsbedingte Mehrsprachigkeit angemessen Raum gibt.
1 Im vorliegenden Abstract wird auf gegenderte Formen verzichtet und ggf. das generische Maskulinum verwendet, das alle Geschlechter und Identifikationsoptionen einschließt.
Bibliographie
Bredthauer, Stefanie/
Burwitz-Melzer, Eva/
Busse, Vera (2020): „Qualifizierung von Lehramtsstudierenden zum Umgang mit Mehrsprachigkeit“. In: Gogolin, Ingrid/
Gogolin, Ingrid (1994): Der monolinguale Habitus der multilingualen Schule. Münster/New York: Waxmann.
Gogolin, Ingrid (2004): „Lebensweltliche Mehrsprachigkeit“. In: Bausch, Karl-Richard/Königs, Frank G./Krumm, Hans-Jürgen (Hrsg.): Mehrsprachigkeit im Fokus. Arbeitspapiere der 24. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Narr, S. 55–61.
Hu, Adelheid (2003): Schulischer Fremdsprachenunterricht und migrationsbedingte Mehrsprachigkeit. Tübingen: Narr.
Jessner-Schmid, Ulrike/
Karakaşoğlu, Yasemin/
Kropp, Amina (2022): „Migrations- und mehrsprachigkeitssensible Professionalisierung. Neue Überlegungen zum Professionswissen von Fremdsprachenlehrkräften für den Umgang mit herkunftssprachlichem Transfer“. In: Kainhofer, Judith/
Kropp, Amina (2020): „‘Sprachenvernetzung als Ressource?’ Eine Interviewstudie mit Lernenden und Lehrenden zu herkunftsbedingter Mehrsprachigkeit und mündlichem Produktionstransfer im schulischen Fremdsprachenunterricht“. In: García García, Marta/
Kuckartz, Udo (2014): Mixed Methods: Methodologie, Forschungsdesigns und Analyseverfahren. Wiesbaden: Springer VS.
Maahs, Ina-Maria/Winter, Christina/
Mayring, Philipp (2015): Qualitative Inhaltsanalyse: Grundlagen und Techniken. Weinheim/