Schwerpunkte der Forschung
- Geschichte des Widerstands gegen den Nationalsozialismus
- Erinnerungskultur und Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit
- Geschichte des Protests und der Protestbewegungen
- Die Nuklearkrise der 1980er Jahre
- Konsumgeschichte des 20. Jahrhunderts
- Politische Geschichte von Baden-Württemberg
- Juristische Zeitgeschichte
- Migration und Einwanderungsgesellschaft im Südwesten
- Kulturen der Nachrichtendienste
- Transatlantische Beziehungen, US-Außenpolitik und Geschichte der US-Militärpräsenz in Deutschland
Zwischen Exzellenz und Expansion: Südwestdeutsche Wissenschaftspolitik von 1978 bis heute
In dem vom Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg (MWK) geförderten Forschungsprojekt geht es um die Geschichte der Wissenschaftspolitik in Baden-Württemberg von 1978 bis heute. Während die bundesdeutsche Bildungs- und Wissenschaftspolitik für die Ära der hochschulpolitischen Aufbrüche der 1960er und frühen 1970er Jahre gut aufgearbeitet ist, fehlen für die Zeit danach quellenbasierte, zeithistorische Studien.
Der Lehrstuhl für Zeitgeschichte der Universität Mannheim unter der Leitung von Prof. Dr. Philipp Gassert greift in diesem Projekt das Forschungsdesiderat auf und strebt einerseits eine Gesamtdarstellung der baden-württembergischen Wissenschaftspolitik in ihrem nationalen und internationalen Kontext an. Andererseits sollen anhand zweier Fallstudien die Gründungsgeschichte des MWK sowie die zweite Reformära der 1990er Jahre vertieft erforscht werden, als es um die Ausdifferenzierung des Wissenschaftssystems sowie den Übergang zur Hochschulautonomie ging.
Für Baden-Württemberg ergibt sich als zentrale Spannung von Wissenschaftspolitik der Spagat zwischen einem verbesserten Zugang zu tertiärer Bildung im Interesse der Chancengleichheit – „Bildung als Bürgerrecht“ ist hier das Stichwort von Ralph Dahrendorf – bei gleichzeitiger Förderung von Spitzenforschung. Im Südwesten verband sich damit traditionell der Anspruch, „Forschungsprimus“ in der BRD zu sein.
Angesichts begrenzter Ressourcen in den 1980er und 1990er Jahren entschied sich Baden-Württemberg für eine „Flaggschiffpolitik“ bei gleichzeitiger starker Ausdifferenzierung des Hochschulsystems – von „Volluniversitäten“ bis zu Berufsakademien. Hierbei wurde eine Politik der Profilbildung verfolgt, die in den 1990er und 2000er Jahren politische Widerstände hervorrief, sich jedoch in den Exzellenzinitiativen bewährte.
Ansprechpartner:
Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg und Lehrstuhl für Zeitgeschichte der Universität Mannheim.Projekt-Mitwirkende:
Prof. Dr. Philipp Gassert (Projektleiter)
Forschungsprojekt „NS-Vergangenheit südwestdeutscher Landtagsabgeordneter nach 1945“
Der Aufsichtsrat der Baden-Württemberg Stiftung hat in seiner Sitzung am 5. Juni 2024 beschlossen, ein von der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg (LpB) koordiniertes Forschungsprojekt zur NS-Belastung ehemaliger Abgeordneter der südwestdeutschen Parlamente zu fördern. Ein Wissenschaftlicher Beirat mit renommierten Expertinnen und Experten aus Baden-Württemberg begleitet die Forschungen.
In einem ersten Teilprojekt soll ein Forschungsgutachten klären, ob im Landtag ausgestellte Kunstwerke, künstlerisch dargestellte Persönlichkeiten sowie die Kunstschaffenden durch den Nationalsozialismus belastet sind. Für dieses Forschungsgutachten wurden die Kunsthistorikerin Dr. Leonie Beiersdorf (Kunsthalle Karlsruhe) und der Historiker Prof. Dr. Frank Engehausen (Universität Heidelberg) beauftragt.
Ein zweites Teilprojekt befasst sich mit möglichen NS-Belastungen ehemaliger Mitglieder der südwestdeutschen Parlamente zwischen 1946 und 1956. Dabei handelt es sich um 522 Abgeordnete, die in Baden, Württemberg-Baden, Württemberg-Hohenzollern und Baden-Württemberg die jeweiligen Landesverfassungen geschaffen und den Südweststaat gegründet haben. Dem Forschungsgutachten soll eine tiefer- und weitergehende Studie zu möglichen NS-Belastungen von Abgeordneten folgen, die zwischen 1956 und 2001 dem Landtag von Baden-Württemberg angehörten. Alle Forschungsergebnisse werden am Ende des Projekts der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.
Dem Wissenschaftlichen Beirat gehören an:
- Prof. Dr. Frank Engehausen, Universität Heidelberg, Historisches Seminar
- Prof. Dr. Philipp Gassert, Universität Mannheim, Historisches Institut, Lehrstuhl für Zeitgeschichte
- Dr. Cornelia Hecht, Direktorin des Hauses der Geschichte Baden-Württemberg
- Prof. Dr. Sabine Holtz, Universität Stuttgart, Historisches Institut, Leiterin der Abteilung Landesgeschichte, zugleich Vorsitzende der Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg
- Prof. Dr. Gerald Maier, Präsident des Landesarchivs Baden-Württemberg
- Prof. Dr. Sylvia Paletschek, Universität Freiburg, Historisches Seminar, Lehrstuhl für Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts
Koordinierende Funktion für das Forschungsprojekt sowie für den Beirat haben:
- Prof. Dr. Reinhold Weber, Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg, Honorarprofessor an der Universität Tübingen, Seminar für Zeitgeschichte
- Dr. Maike Hausen, Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg, Lehrbeauftragte an den Universitäten Tübingen (Seminar für Neuere Geschichte) und Mannheim (Lehrstuhl für Zeitgeschichte)
Projektbearbeiterinnen sind:
- Bianca Braun, LpB Baden-Württemberg
- Viola Renner-Motz, Universität Mannheim
Studentische Hilfskräfte:
- Jessica Hubbard, Universität Tübingen
- Luca Petruzzelli, Universität Wien
- Sandra Scherer, Universität Mannheim
Gefördert von der Baden-Württemberg Stiftung.
Laufende Promotionsprojekte
Eva Beckershoff
Die Dritte-Welt-Bewegung in Frankreich im Kontext des Kalten Krieges
Betreuer: Prof. Dr. Philipp Gassert
Bianca Braun
Bianca Braun, M.A.
DoktorandinUniversität Mannheim
Historisches Institut
Lehrstuhl für Zeitgeschichte
L 7, 7
68161 MannheimE-Mail: Bianca.Braun lpb.bwl.de„Wer sind die Verfassungsväter- und Mütter Baden-Württembergs? Eine Prosopographie der Verfassunggebenden Landesversammlung“
Betreuer: Prof. Dr. Philipp Gassert
Über 70 Jahre ist die Landesverfassung von Baden-Württemberg alt. Die von den Abgeordneten der Verfassunggebenden Landesversammlung Baden-Württemberg (VLVBW) (25. März 1952- 19. November 1953) ausgearbeiteten Artikel regeln das Zusammenleben der Menschen und die Ordnung des Staates bis heute. Der formale Prozess der Entstehung der Verfassung Baden-Württembergs ist bereits weitestgehend erforscht. Unbeantwortet ist jedoch die Frage, wer die Menschen waren, die nach der Zeit des Nationalsozialismus dem neuen Südweststaat zu einer demokratischen Verfassung verhalfen. Wie sah ihre nationalsozialistische Vergangenheit im Dritten Reich aus? Waren sie Verfolgte, Opportunisten, „Belastete“ oder gar Täter im NS-Regime gewesen? Welcher Generation entsprangen sie und wurden sie dadurch geprägt? Wie war ihre politische Orientierung nach 1945? Wie verhielten sie sich in den Parlamentsdebatten über die Verfassung? Welche Vorstellungen hatten die Abgeordneten von einer funktionierenden demokratischen Staatsordnung?
Diese und weitere Fragen soll eine Prosopographie[1] der Verfassunggebenden Landesversammlung Baden-Württemberg beantworten. Die aus der systematischen Erforschung einer bestimmten Menschengruppe zur Einordnung in einen zeitgeschichtlichen Kontext resultierenden quantitativen Ergebnisse liefern die Basis für qualitative Vergleiche und neue Forschungsergebnisse.
Die Grundlage des Dissertationsvorhabens bildet ein Forschungsprojekt der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg, das seit Juli 2024 im Auftrag des Landtags von Baden-Württemberg die Abgeordneten der südwestdeutschen Parlamente nach 1945 auf eventuelle NS-Belastungen untersucht. Dabei werden umfangreiche Archivbestände des Landesarchivs Baden-Württemberg, des Bundesarchivs, der „Zentralen Stelle“ in Ludwigsburg und zahlreicher anderer Archive (darunter auch Kreis- und Stadtarchive) ausgewertet, um unter anderem die (politischen) Biographien der Abgeordneten rekonstruieren zu können. Darüber hinaus soll eine Auswertung der Protokolle der Parlamentsdebatten und des Verfassungsausschusses der Verfassunggebenden Landesversammlung Baden-Württemberg das politische Agieren der Abgeordneten näher beleuchten.
Zur Person
Bianca Braun arbeitet für das Forschungsprojekt „NS-Vergangenheit südwestdeutscher Landtagsabgeordneter nach 1945“ bei der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg. Dort leitete sie bereits den Fachbereich Medienpädagogik und war im Bereich digitale Medien in der Internet- und Social Media- Redaktion tätig. Zu den Themenschwerpunkten Demokratie(-Bildung) und Medienkompetenz brachte sie Podcasts und Publikationen heraus und hielt entsprechende Lehrvorträge und Seminare. Zuvor arbeitete die Wahlulmerin einige Jahre als Reporterin, Redakteurin und Nachrichtensprecherin für den Hörfunk. Sie studierte Neuere und Neueste Geschichte, alte Geschichte und Politikwissenschaften auf Magister an der Ludwig-Maximilians-Universität in München.
[1] Vgl. Sabine Heusinger: Prosopographie als Methode, in: Mannheim Working Papers in Premodern Economic History 2 (2021), S. 28–39.
David Brechbilder
Bild: Viola Renner-MotzDavid Brechbilder, M.A.
Wissenschaftlicher MitarbeiterUniversität Mannheim
Historisches Institut
Lehrstuhl für Zeitgeschichte
L 7, 7 – Raum 208
68161 MannheimE-Mail: david.brechbilder uni-mannheim.deDie Anfangsjahre des Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst im Rahmen der baden-württembergischen Wissenschaftspolitik
Betreuer: Prof. Dr. Philipp Gassert
Der April 1978 stellt einen Zäsurpunkt in der baden-württembergischen Kultuspolitik dar. Das bisher einheitlich geführte Ressort wurde aufgeteilt in das Ministerium für Kultus und Sport zum einen, und zum anderen in das – damals noch – Ministerium für Wissenschaft und Kunst (MWK). Dies geschah in einer, nicht nur für den deutschen Südwesten, bewegten Zeit. Ölkrise und Rezession hatte das bundesrepublikanische Selbstbewusstsein nach Neubeginn und „Wirtschaftswunder“ empfindlich erschüttert. Darunter litt auch die Bildungs- und Hochschulpolitik, die sich noch in einer – bereits in den 1960er Jahren begonnenen – Reformations- und Umbruchsphase befand. Der bis 1978 amtierende Ministerpräsident des Landes, Hans Filbinger, stürzte schließlich über ein düsteres Kapitel seiner persönlichen Vergangenheit. Die CDU selbst erwies sich allerdings in Baden-Württemberg als sattelfest. Lothar Späth trat mit reichlich Elan und viel Gespür für das Öffentliche die Nachfolge an. Sein Ziel: Baden-Württemberg sollte mit „Zukunftstechnologien“ zur nationalen wie auch internationalen Spitze gehören und durch Investitionen in Innovationen einem vermeintlichen Zurückfallen entgegenwirken. Bildung und Wissenschaft gerieten somit als traditionelle Ländersache in den Fokus einer landespolitischen Agenda.
Hier beginnt also die Geschichte des MWK. Folgende fünf Fragen sind bisher leitgebend für das hier vorgestellte Promotionsvorhaben, welches als Teil des Forschungsprojekt „Zwischen Exzellenz und Expansion: Südwestdeutsche Wissenschaftspolitik von 1978 bis heute“ – unter der Leitung des Lehrstuhlinhabers Philipp Gassert – vom Ministerium selbst gefördert wird:
- Welche Überlegungen, Versprechungen oder Ideen führten 1978 zur Ressortspaltung? Hierbei sei angemerkt, dass es sich bei dieser Kompetenzaufteilung weder partei- noch landespolitisch um einen baden-württembergischen Sonderweg handelte.
- Wie gestaltete sich staatlich-institutionelle wie auch landespolitisch die behördliche Umstrukturierung?
- Welche Konflikte und Konsequenzen ergaben sich aus Ressortspaltung? So war bspw. der bis April 1978 amtierende Kultusminister Wilhelm Hahn ein vehementer Gegner der Aufteilung, aber eben auch ein parteiinterne Konkurrent Filbingers.
- In welcher Art und Weise gestaltete sich die Arbeit des MWK in seiner Anfangszeit, die in diesem Projekt die Entwicklungen bis Anfang der 1990er miteinschließt?
- Und hier anknüpfend: Welche Rolle spielte das Ministerium konkret in der Späth’schen Innovationsagenda? Kritische Stimmen attestieren dem MWK in der Forschungs- und Technologiepolitik des Landes eine untergeordnete Rolle gegenüber Ministerpräsident Späth selbst und dem Staatsministerium.
Das Promotionsvorhaben befindet sich noch in einer frühen Phase. Momentan wird für das Gesamtforschungsprojekt ein umfangreicher Quellen- und Literaturkorpus erstellt. Als ein weiterer, besonders wichtiger Schritt gilt die intensive Sichtung der Unterlagen des Kultusministeriums in der konzeptionellen Vorlaufszeit, und des MWK ab 1978. Diese Bestände befinden sich im Hauptstaatsarchiv in Stuttgart.
Zur Person
David Brechbilder ist seit September 2023 wissenschaftlicher Mitarbeiter und Lehrbeauftragter am Lehrstuhl für Zeitgeschichte. Im Rahmen des dort angesiedelten Forschungsprojekts „Zwischen Exzellenz und Expansion: Südwestdeutsche Wissenschaftspolitik von 1978 bis heute“ promoviert er zur Gründungsgeschichte des Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg. Des Weiteren ist er seit Oktober 2023 freier Mitarbeiter des Friedrich-Engelhorn-Archivs in Mannheim.
Zuvor studierte er Geschichte und Soziologie in Mannheim, und war bis 2022 wissenschaftliche Hilfskraft am Lehrstuhl für Neuere und Neueste Geschichte und des Universitätsarchivs, und 2016 Tutor des Projektes „Mannheim Siebzehneinhalb“, am Lehrstuhl für Spätmittelalter und Frühe Neuzeit.
Der gebürtige Würzburger bezeichnet sich selbst gerne als „Spätberufener“. 2014 erwarb der gelernte Masseur und medizinische Bademeister aus Leidenschaft zur Geschichte am Staatlichen Kolleg Mannheim die allgemeine Hochschulreife über den zweiten Bildungsweg. So fand er in der Stadt eine neue Heimat und in der Universität schließlich seine Alma Mater.
Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählt u. a. die deutsche Zeitgeschichte generell, die baden-württembergische Landesgeschichte, die der Wissenschafts- und Hochschulpolitik, sowie die Mannheimer Stadt- und Universitätsgeschichte.
Publikationen
- Als die Studenten das Schwimmen lernten: Die frühen Tutorenprogramme der Fakultät für Betriebswirtschaftslehre, in: Angela Borgstedt/
Sandra Eichfelder/ Philipp Gassert (Hrsg.), Ein Universität der Gesellschaft: 75 Jahre Neubegründung Wirtschaftshochschule und Universität Mannheim, Ubstadt-Weiher/Heidelberg/Stuttgart/Speyer/Basel 2021. - Viktor Darmstädter (1858-1923) – Gründer des Mannheimer Verkehrsvereins, in: Wilhelm Kreutz/
Volker von Offenberg (Hrsg.), Jüdische Schüler des Vereinigten Großherzoglichen Lyzeums-Karl-Friedrich-Gymnasiums Mannheim (Bd. 2), Mannheim 2014.
Jonas Brosig
Jonas Brosig
DoktorandUniversität Mannheim
Historisches Institut
Lehrstuhl für Zeitgeschichte
L 7, 7 – Raum 208
68161 MannheimSprechstunde:
nach Vereinbarung per E-MailRevolution der Gestörten, Irre am Gewehr? Die Psychopathologisierung des Terrorismus im langen roten Jahrzehnt
Gefördert von der Gerda Henkel Stiftung (bis 11/
23) und der Landesgraduiertenförderung (seit 12/ 23) Betreuer: Prof. Dr. Philipp Gassert
„Wäre doch sehr peinlich, wenn sich herausstellte, dass alle diese Leute einer Verrückten nachgelaufen sind.“[1] Mit diesen Worten soll Oberstaatsanwalt Peter Zeis 1973 eine zwangsweise Hirnszintigrafie Ulrike Meinhofs begründet haben. Im Jahr zuvor hatte bereits der Stern in diese Kerbe geschlagen und eine Röntgenaufnahme von Meinhofs Schädel veröffentlicht, die 1962 im Zuge einer Hirnoperation entstanden war. Unter der Schlagzeile „Der Tumor im Gehirn der Meinhof“[2] hatte das Magazin die so bezeichnete Stelle mit einem schwarzen Pfeil versehen. Zwar war der Tumor in Wirklichkeit ein Blutschwamm, jedoch hätte solche Differenzierung die Implikation der Story zunichte gemacht: Dem Gewalthandeln der vormals ehrbaren Journalistin sollte ein Hirnschaden zugrunde liegen.
Das Promotionsprojekt befasst sich mit psychopathologisierenden Deutungsentwürfen des Terrorismus im langen roten Jahrzehnt. Der analytische Begriff der Psychopathologisierung bezeichnet dabei sprachlich heterogen realisierte Erklärungsangebote, die den linken Terrorismus auf vermeintlich a priori vorhandene psychische Merkmale der Akteur:innen zurückführten. Diese seriell (re-)artikulierten Konzepte bildeten Funktionselemente eines kollektiven kommunikativen Zusammenhanges (Diskurs), die nicht erst mit dem studentisch-linksalternativen „Psycho-Boom“[3] in den politischen Sprachgebrauch Einzug hielten; als Labels für linke Devianz reflektierten sie auch hygienisch-biologistische Denkfiguren des späten 19. Jahrhunderts (G. Le Bon, C. Lombroso), die nach 1945 u. a. in der psychiatrisch-juristisch dominierten Kriminologie fortbestehen konnten. In diesen Kontinuitäten erscheint der „Wahnsinn“ als ereignisgeschichtliche Zäsuren überdauernder, „moderner“ Topos zur wirksamen virtuellen Strukturierung der erlebten Welt.
Zur Person
Jonas Brosig war vom HWS 2019/20 ausgehend zwei Semester lang wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Zeitgeschichte. Zuvor studierte er Geschichte, Germanistik und Latinistik in Mannheim, Heidelberg und Mykolajiw. Ab 2013 war er Hilfskraft am Lehrstuhl für Neuere und Neueste Geschichte II (Prof. Peter Steinbach), seit 2014 am Lehrstuhl für Zeitgeschichte (Prof. Philipp Gassert). Hier unterrichtete er verschiedene Tutorien zu Seminaren der jüngeren deutschen Geschichte. Im HWS 2018 begleitete er das Master-Lektüreseminar “Karl Marx: Das Kapital”. Im Rahmen von Praktika arbeitete er an der Hamburger Stiftung zur Förderung von Wissenschaft und Kultur, am Deutschen Historischen Institut London sowie am Goethe-Institut in Kiew. Jonas Brosig war von 2015–2025 Vorsitzender bzw. stv. Vorsitzender des Fördervereins des Historischen Instituts und des Antikensaals an der Universität Mannheim e. V.
Vorträge
„Revolutionäre in Roben? Der 'Linksanwalt' als Teil eines gesellschaftlichen Bedrohungsszenarios der 1970er Jahre“ (gehalten im Rahmen der Tagung „Organe der Rechtspflege – Organe der Revolution? 'Linksanwälte' im Lichte von APO und sozialrevolutionärem Terrorismus seit den späten 1960er Jahren in der Bundesrepublik, Mannheim, 02.06.2022)
„Jugend in Gefahr! Gesellschaft in Gefahr? Moral Panics in den 1960er und 1970er Jahren am Beispiel von Quick und Stern" (gehalten im Kolloquium des Lehrstuhls für Zeitgeschichte der Universität Mannheim, Mannheim, 23.02.2022)
„Psycho-pathologisierende Deutungsmuster linker Devianz im Zuge der '68er'-Bewegung als historisch-diskursive Voraussetzungen des Radikalenerlasses“ (gehalten auf einer Tagung des Lehrstuhls für Zeitgeschichte an der Universität Heidelberg, Heidelberg, 28.09.2020)
Publikationen
Jonas Brosig, Angela Borgstedt (Hgg.), „Linksanwälte“. Aspekte der Strafverteidigung im roten Jahrzehnt (= Rechtsgeschichtliche Forschungen 8), Baden-Baden 2025 [in Vorbereitung].
Jonas Brosig, Einleitung: „Linksanwälte” als Gegenstand der historischen Forschung, in: ders./Angela Borgstedt (Hgg.), „Linksanwälte“. Aspekte der Strafverteidigung im roten Jahrzehnt (= Rechtsgeschichtliche Forschungen 8), Baden-Baden 2025 [in Vorbereitung].
Jonas Brosig, Tagungsbericht: Der politische Strafprozess. Eine Spurensuche, in: JoJZG 17:3 (2023), S. 111–115.
Jonas Brosig, Caren Stegelmann, Leonard Wolckenhaar, Tagungsbericht: Konjunkturen des Staatsschutzes. Die Justiz und der Schutz von Republik und Verfassung (1922 – 1972 – 2022), in: H-Soz-Kult, 02.06.2023, www.hsozkult.de/conferencereport/id/fdkn-136419, letzter Zugriff: 02.06.2023.
Jonas Brosig, Art. „Horst Mahler“, in: Groenewold/
Ignor/Koch (Hrsg.), Lexikon der politischen Strafprozesse, https://www.lexikon-der-politischen-strafprozesse.de/glossar/mahler-horst/, letzter Zugriff: 26.06.2022. Jonas Brosig, Art. „Sozialistisches Patientenkollektiv“, in: Groenewold/
Ignor/Koch (Hrsg.), Lexikon der politischen Strafprozesse, https://www.lexikon-der-politischen-strafprozesse.de/glossar/huber-ursula-und-wolfgang/, letzter Zugriff: 22.01.2021. Jonas Brosig, Rezension v. Eric Hobsbawm, Das kurze 20. Jahrhundert, Darmstadt 2019, in: ZEITARBEIT 2 (2020), S. 173–175.
Jonas Brosig, Rezension v. Sylvia Schraut, Terrorismus und politische Gewalt (Einführung in die Geschichtswissenschaften. Neuere und Neueste Geschichte 1), Göttingen 2018, in: ZEITARBEIT 2 (2020), S. 203–205.
Tagungsorganisation
„Organe der Rechtspflege – Organe der Revolution? 'Linksanwälte' im Lichte von APO und sozialrevolutionärem Terrorismus der späten 1960er und 1970er Jahre in der Bundesrepublik“ (1.–3. Juni 2022, Mannheim)
Berichte auf H-Soz-Kult sowie im Anwaltsblatt.
Lehre
Übung: „Sex, Drogen und Gewalt? Alternative (Jugend)Milieus in der Bundesrepublik der 1970er Jahre“ (HWS 2022)
Übung: „Die Geschichte des deutschen Rechtsextremismus nach 1945“ (FSS 2022)
Proseminar: „Terrorismus und politische Gewalt“ (FSS 2020)
Proseminar: „Die Geschichte der Roten Armee Fraktion“ (HWS 2019/
20) Master-Lektüreseminar: „Karl Marx: Das Kapital“ (HWS 2018, gemeinsam mit Prof. Dr. Philipp Gassert)
Tutorium zum Proseminar: „Die deutsche Revolution 1918/
19“ (HWS 2015, en bloc) Tutorium zum Poseminar: „Der lange Schatten der Vergangenheit. Die Bundesrepublik und der Umgang mit NS-Prozessen nach 1945“ (FSS 2015)
Tutorium zum Proseminar: „Von der sowjetischen Besatzungszone bis zum Beitritt zur Bundesrepublik: Die DDR von 1945/
49 bis 1989/ 90“ (FSS 2014) Tutorium zum Proseminar: „Widerstand gegen den Nationalsozialismus“ (HWS 2013)
Tutorium zum Proseminar: „Das Attentat in der Geschichte“ (HWS 2012)
[1] Zitiert nach: Internationales Komitee zur Verteidigung politischer Gefangener in West-Europa, Anklage wegen des Todes von Ulrike Meinhof, 19.03.1977, S. 82. Siehe auch: Willi Winkler, Vor zwanzig Jahren nahm sich Ulrike Meinhof das Leben, in: DIE ZEIT 20 (1996). URL: https://www.zeit.de/1996/20/meinhof.txt.19960510.xml (letzter Zugriff 10.02.2020); Heinrich Hannover, Stammheimer Geheimnisse, in: Ossietzky 24 (2002). URL: https://www.sopos.org/aufsaetze/3e11dedb0e877/1.phtml.html (letzter Zugriff: 10.02.2020).
[2] N. N., Der Tumor im Gehirn der Meinhof, in: STERN Nr. 26 vom 18.06.1972, S. 20f.
[3] Wilfried Rasch, Ursachen des Terrorismus. Die forensisch-psychiatrische Perspektive, in: Geistig-politische Auseinandersetzungen mit dem Terrorismus. Protokoll einer Modelltagung, veranstaltet vom Arbeitsstab „Öffentlichkeitsarbeit gegen Terrorismus“ im Bundesministerium des Innern, Bonn 1979, S. 55.
Joshua Haberkern
Joshua Haberkern, M.A.
DoktorandUniversität Mannheim
Historisches Institut
Lehrstuhl für Zeitgeschichte
L 7, 7 – Raum 208
68161 MannheimE-Mail: jhaberke mail.uni-mannheim.deSprechstunde:
nach VereinbarungEine neoliberale Wende? Die Wissenschafts- und Hochschulpolitik in Baden-Württemberg zwischen den 1980er und 2000er Jahren
Betreuer: Prof. Dr. Philipp Gassert
Die massive Hochschulexpansion der 1960er und 1970er Jahre mitsamt einer Multiplizierung der Studierendenzahlen machte eine tiefgreifende Reform der bundesdeutschen Universitätslandschaft unumgänglich, allein ihre Ausgestaltung blieb zeitgenössisch wie retrospektiv höchst umstritten. Dieses Promotionsvorhaben hat das Ziel, durch akteurszentrierte wie netzwerk- und systemtheoretische Zugänge den komplexen Aushandlungsprozess dieser Reform von den späten 1980er Jahren bis in die frühen 2000er nachzuverfolgen, an dessen Ende sich mit dem Bologna-Prozess sowie der Exzellenz-Initiative zwei Herolde eines neuen universitären Zeitalters ankündigten. Dass diese hochschulpolitische Wende bisher mit Begriffen wie der „Ökonomisierung“ bzw. der „Neoliberalisierung“ der Universitätslandschaft umschrieben wurden, kommt nicht von ungefähr: Drittmittel-Abhängigkeiten, interne wie externe Wettbewerbsparadigmen, universitäre Schwerpunktbildung und Profilierung sowie die vermeintliche innere Transformation zur „Service-Universität“ prägten ein Umfeld des Bildungsutilitarismus, in dem der Wert der Institution Universität anhand ihrer Rentabilität sowie ihrer Nützlichkeit gemessen wird.
Als Fallbeispiel dient der Promotion die Wissenschaftspolitik des Landes Baden-Württemberg beziehungsweise seines Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst. Gemeinsam mit den diversen sonstigen Akteuren der Bildungslandschaft – etwa der Landesrektorenkonferenz, der Westdeutschen bzw. später gesamtdeutschen Hochschulrektorenkonferenz und nicht zuletzt den zwischen freiheitsstiftenden Globalhaushalten und einengender Bürokratisierung um ihre Autonomie lavierenden Universitäten – bildete das Ministerium die Schaltzentrale einer Reform, deren Beschaffenheit, Ausmaße und Auswüchse vielmehr das Ergebnis eines Aushandlungsprozesses als einer geplanten Transformation waren. Nicht zuletzt waren es die „Stakeholder“ der Universität – Professoren, Studierende, Verwaltung oder auch die zumeist medial vermittelte Öffentlichkeit – die mit ihren Gegenwartsbeschreibungen zu einer ungeordneten, bisweilen chaotischen, jedoch stets krisenhaften Polyphonie beitrugen.
Als zentrale Quellen dienen der Promotion vorwiegend die Bestände des MWKs im Hauptstaatsarchiv in Stuttgart, ergänzt durch exemplarische Fallstudien anhand der Bestände ausgewählter Universitätsarchive.
Informationen auf der Seite des BMWK.
Zur Person
Joshua Haberkern ist Doktorand am Lehrstuhl für Zeitgeschichte und seit August 2023 Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Forschungsprojekt „Zwischen Exzellenz und Expansion: Südwestdeutsche Wissenschaftspolitik von 1978 bis heute“, welches vom Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg gefördert wird.
Zuvor studierte er Geschichte, BWL und Ethnologie in Heidelberg, Mannheim und Prag. Seit 2019 ist er am Lehrstuhl für Zeitgeschichte beschäftigt: Zunächst als studentische Hilfskraft und Tutor im Fach Intercultural Studies, später als Wissenschaftlicher Mitarbeiter und Lehrperson in verschiedenen Proseminaren.
Im FSS 2024 begleitet er das Hauptseminar „Forschungsprimus? Hochschulen und Wissenschaft in Baden-Württemberg seit den 1960er Jahren“
Doreen Kelimes
Die Kriegsgefangenen in Mannheim, 1914-1921
Betreuer: Prof. Dr. Philipp Gassert, Dr. Ulrich Nieß
Anne Kremer
Bild: Fotostudio ThomasAnne Kremer, M.A.
DoktorandinE-Mail: ankremer[at]mail.uni-mannheim.deUniversität Mannheim
Historisches Institut
Lehrstuhl für Zeitgeschichte
L 7, 7 – Raum 208
68161 MannheimTel.: +49 621 181-2263Sprechstunde:
nach VereinbarungGleichberechtigung und Metallgewerkschaften. Deutsch-deutsche Transformationen der Geschlechterordnungen
Gefördert von der Friedrich-Ebert-Stiftung (Promotionsprogramm: Erforschung der Sozialen Demokratie(n) und ihrer Bewegungen. Historischer Wandel, gegenwärtige Effekte und Perspektiven für die Zukunft)
Betreuer: Prof. Dr. Philipp Gassert
Das Dissertationsprojekt befasst sich mit gewerkschaftlichen Konzepten über die Gleichberechtigung der Geschlechter und deren Möglichkeiten und Grenzen im Transformationsprozess der deutschen Wiedervereinigung. Es geht der Fragestellung nach, welche Auswirkungen, Herausforderungen und damit potenzielle Neu-Aushandlungen der Geschlechterordnungen der Umbruch 1989/
90 für die Metallgewerkschafter*innen mit sich brachte. Dies wird für die vereinigte IG Metall, vor dem Hintergrund der geteilten Vorgeschichte in beiden deutschen Staaten, unter anderem anhand von Themen wie Berufstätigkeit und Bildung, Bezahlung und Sozialleistungen, Kinderbetreuung und Reproduktionsarbeit, Sexualität und Gewalt sowie Frauenförderung, Gleichstellungspolitik und institutionelle Partizipation analysiert. Damit nimmt das Projekt drei Spannungsfelder in den Blick: Zum einen untersucht es Diskrepanzen und Konkurrenzen zwischen Ost und West sowie einen möglichen doppelten Transformationsprozess in der Selbstverständigung über Gleichberechtigung und Geschlechterordnungen. Zum anderen scheinen neben möglichen ‚Ko-Transformationen‘ auch ‚Ko-Kontinuitäten‘ in Form von gesamtdeutsch geteilten Konflikte zwischen spezifischen ‚traditionellen‘ und ‚modernen‘ Selbstverständnissen als wahrscheinlich. Und drittens erscheinen auch Widersprüche zwischen den ideologischen Gleichheitsforderungen der Gewerkschaft und gesamtgesellschaftlich prägenden Geschlechterhegemonien als relevant.
Zentrale Quellen, die Aufschlüsse über entsprechende Diskurse und Praktiken der Metallgewerkschafter*innen geben, sind die Bestände der IG Metall und des DGB im AdsD sowie des FDGB im BArch.
Das Promotionsvorhaben kann so einen Beitrag zur deutsch-deutschen Geschlechtergeschichte der Gewerkschaften im Transformationsprozess der 1990er Jahre leisten. Es trägt nicht nur zur Historisierung einer für die Ordnung von Arbeitswelt und Gesellschaft bedeutsamen Kategorie bei, sondern letztlich auch zur überfälligen Debatte über dreißig Jahre deutsche Gewerkschaftseinheit.
Zur Person
Anne Kremer ist Doktorandin am Lehrstuhl für Zeitgeschichte.
Sie studierte Geschichte und BWL im Studiengang Kultur und Wirtschaft an der Universität Mannheim. Während des Studiums war sie als wissenschaftliche Hilfskraft am Lehrstuhl für Zeitgeschichte tätig und absolvierte Praktika in Museum, Stadtmarketing und Ausstellungsredaktion. Nach dem Studium arbeitete sie am Lehrstuhl von 2018 bis 2020 als wissenschaftliche Mitarbeiterin in Forschung und Lehre sowie der Veranstaltungsorganisation.
Seit Herbst 2020 ist Anne Kremer Promotionsstipendiatin der Friedrich-Ebert-Stiftung.Forschungsschwerpunkte: Geschlechtergeschichte, Gewerkschaftsgeschichte, deutsch-deutsche Zeitgeschichte
Publikationen
- „Schutz den jungen Händen gegen die Ausbeutung! Schutz den jungen Köpfen gegen die Verdummung!“. Die frühe Arbeiterjugendbewegung, in: Philipp Gassert/
Ulrich Nieß/Richard Rohrmoser (Hg.), Jugendprotest und Jugendkulturen im 20. Jahrhundert. Über 100 Jahre bewegte Jugend in Mannheim, Mannheim 2017, S. 38–48. - „Die Memelländer nach Kräften zu unterstützen“ – Das Mannheimer Memellandbüro, in: Mannheimer Geschichtsblätter 34/
2017, S. 100–110. - Rezension: Kurt Thomas Schmitz, Die IG Metall nach dem Boom. Herausforderungen und strategische Reaktionen, Bonn 2020, in: sehepunkte 21/
2021, Nr. 5 (15.05.2021), URL: http://www.sehepunkte.de/2021/05/34683.html. - Tagungsbericht: Gender Pay Gap – vom Wert und Unwert von Arbeit. Neue Perspektiven auf die Gewerkschaftsgeschichte VIII, 22.04.2021 – 23.04.2021 digital (Bonn), in: H-Soz-Kult (06.07.2021), URL: www.hsozkult.de/conferencereport/id/tagungsberichte-8989.
- Transformierte Geschlechterpolitiken in der »Gewerkschaftseinheit«? Betriebliche Frauenförderung und die vereinigte IG Metall, in: Marcus Böick/Constantin Goschler/
Ralph Jessen (Hg.), Jahrbuch Deutsche Einheit 2022, Berlin 2022, S. 183–196. - mit Anna Strommenger, Tagungsbericht: Arbeit/
Zeit. Umkämpfte Beziehungen und umstrittene Deutungen im 19. und 20. Jahrhundert, 03.11.2022 – 05.11.2022 (Hamburg), in: H-Soz-Kult (14.03.2023), URL: www.hsozkult.de/conferencereport/id/fdkn-134426
Lehre
- Erinnerungen an das Mannheimer Amerika: Oral History und das ZEITSTROM-Projekt (Projektseminar mit Philipp Gassert und Philipp Scherzer, FSS und HWS 2017)
- Die DDR: Vorgeschichte, Geschichte und Erinnerung an den SED-Staat (Hauptseminar mit Philipp Gassert, FFS 2018)
- Fleißige Hausfrauen, sanfte Väter und wilde Rocker. Die alte Bundesrepublik aus geschlechterhistorischer Perspektive (Proseminar, HWS 2019)
- Deutsche Kolonialgeschichte: Ereignisse und Erinnerungen (Schreibschule zum Hauptseminar mit Philipp Gassert und Joshua Haberkern, FSS 2020)
Akademisches Engagement
- Arbeitskreis Historische Frauen- und Geschlechterforschung
- Frauen & Geschichte Baden-Württemberg
- Förderverein des Historischen Instituts der Universität Mannheim (Social Media-Koordinatorin)
- German Labour History Association (Vorstandsmitglied)
- Verband der Historiker und Historikerinnen Deutschlands
- „Schutz den jungen Händen gegen die Ausbeutung! Schutz den jungen Köpfen gegen die Verdummung!“. Die frühe Arbeiterjugendbewegung, in: Philipp Gassert/
Viola Renner-Motz
Bild: Martin UtschViola Renner-Motz
Wissenschaftliche MitarbeiterinUniversität Mannheim
Historisches Institut
Lehrstuhl für Zeitgeschichte
L 7, 7 – Raum 302
68161 MannheimE-Mail: viola.renner-motz uni-mannheim.deSprechstunde:
nach VereinbarungDie Verhandlung der NS-Vergangenheit in den frühen Landtagen Baden-Württembergs
Betreuerin: Prof. Dr. Angela Borgstedt
Die Geschichte des Nationalsozialismus endete nicht mit der Kapitulation, vielmehr begann eine „zweite Geschichte“ des Nationalsozialismus, die in der Auseinandersetzung mit den nationalsozialistischen Verbrechen sowie mit der Verantwortung der in Deutschland lebenden Menschen dafür bestand. Da die Länder bereits vor der Ausgestaltung des gesamtheitlichen Staatswesens 1949 bestanden, begann diese Auseinandersetzung zwangsläufig auf regionaler Ebene und wurde verstärkt in den Landesparlamenten ausgetragen. Das Dissertationsvorhaben widmet sich den Aushandlungen der NS-Vergangenheit in den frühen Landesparlamenten Baden-Württembergs ab 1946. Es geht um die Fragen, welche NS-vergangenheitsbezogenen Themen verhandelt wurden, wodurch diese Debatten ausgelöst wurden und zu welchem Ergebnis sie von den Abgeordneten geführt wurden. Außerdem wird betrachtet, welcher Stellenwert der „Aufarbeitung“ der Vergangenheit zukam und welche Opfergruppen benannt wurden. Übergreifend hierzu wird die Frage behandelt, ob es Korrelationen zwischen der Positionierung von Abgeordneten und deren NS-Erfahrungen oder deren Fraktionszugehörigkeit gibt. Und schließlich sollen Veränderungen über die Zeit aufgezeigt werden.
Diese Fragen werden mithilfe quantitativer sowie qualitativer Herangehensweisen beantwortet. Zunächst wird eine statistische Auswertung der Protokolle in Bezug auf die Nennung für die Auseinandersetzung relevanter Begriffe (bspw. Opfergruppen, Verfolgungsorte, aber auch Begriffe der „Schlussstrich“-Debatten oder der Entnazifizierung) durchgeführt, die sowohl eine zeitliche Entwicklung darstellen als auch der Auswahl wichtiger Diskussionen für die qualitative Betrachtung dient. Anschließend werden die Landtagsdebatten inhaltlich und semantisch ausgewertet.
Das Dissertationsvorhaben ist eingebunden in das Forschungsprojekt „NS-Vergangenheit südwestdeutscher Landtagsabgeordneter nach 1945“. Im Auftrag des Landtags Baden-Württemberg und unter Koordination der Landeszentrale für politische Bildung werden die Biografien der Landtagsabgeordneten Baden-Württembergs nach 1945 rekonstruiert und auf NS-Belastungen hin untersucht.
Zentrale Quellen des Dissertationsvorhabens sind die Protokolle der Vorparlamente Baden, Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollern sowie des Landtags Baden-Württemberg. Die Rekonstruktion der Biografien der Abgeordneten erfolgt auf Grundlage von Spruchkammerakten, Personalakten und Wiedergutmachungsakten sowie weiterer verfügbarer personenbezogener Dokumente.
Zur Person
Viola Renner-Motz studierte Gymnasiallehramt in den Fächern Geschichte, Französisch, Politik und Wirtschaft an der Universität Mannheim, der Sciences Po Rennes in Frankreich und der Deutschen Schule Helsinki in Finnland. Nach Abschluss des Studiums 2020 absolvierte sie ihr Referendariat in Baden-Baden. Zum HWS 2023 kehrte Viola Renner-Motz zur Promotion und wissenschaftlichen Mitarbeit an die Universität Mannheim zurück. Sie arbeitet im Forschungsprojekt „NS-Vergangenheit südwestdeutscher Landtagsabgeordneter nach 1945“ mit.
Publikationen
Tagungsbericht: Zwischen Exzellenz und Expansion: Südwestdeutsche Wissenschaftspolitik im deutschen und europäischen Kontext von 1978 bis heute, in: H-Soz-Kult, 23.11.2024, https://www.hsozkult.de/conferencereport/id/fdkn-151323.
Lehre
„Von frevelhafter Hand zerstört“ – Erinnerungskultur am authentischen Ort in Baden-Württemberg (Proseminar, HWS 2023).
Hans-Georg Ripken
Bild: Anna LogueHans-Georg Ripken, M.A.
DoktorandUniversität Mannheim
Historisches Institut
Lehrstuhl für Zeitgeschichte
L 7, 7
68161 MannheimNATO-Osterweiterung in den 1990er Jahren – Eine qualitative und datenbasierte Analyse der öffentlichen Debatte in Deutschland, den USA, Polen und Russland
Betreuer: Prof. Dr. Philipp Gassert
In der Promotion werden Veränderungen der öffentlichen wie auch internen Debatten über die NATO-Osterweiterung in den USA, Russland, Deutschland und Polen von 1990 bis 1999 untersucht. Damit sollen Entwicklungen und Einflüsse analysiert werden, die zur ersten NATO-Osterweiterung im Jahr 1999 geführt haben. Für diese Untersuchung kommen neben klassischer Archivforschung auch Methoden der Data-Science, insbesondere die Sentiment Analyses von öffentlichen Bekanntmachungen, Pressemitteilungen und Leitmedien zum Einsatz. Mittels dieses multi-methodischen Ansatzes sollen erstmalig wesentliche Einflusslinien der unmittelbaren Ära nach dem Kalten Krieg über einen längeren Zeitraum freigelegt und beschrieben werden. Ihre Analyse soll dazu dienen, den Transformationsprozess in einer zentralen Entscheidungsphase für Struktur und Aufbau des geeinten Europas und der neuen Sicherheitsarchitektur des Westens fundiert zu erklären und nachvollziehbar zu machen. Das Forschungsprojekt soll somit dazu beitragen, die divergierenden Narrative über den Prozess der NATO-Osterweiterung zu relativieren, und seriöse Bezugspunkte für die wissenschaftliche und gesellschaftliche Diskussion bereitzustellen.
Die Dissertation wird seit August 2022 von der Konrad-Adenauer-Stiftung gefördert. Im November 2022 folgt ein Short-Term-Fellowship am Deutschen Historischen Institut in Washington.
Zur Person
Hans-Georg Ripken studierte Geschichte und BWL in Göttingen, Cambridge und Mannheim. Während seines Masters in Mannheim von 2019 bis 2021 arbeitete er ein Jahr am Lehrstuhl für Zeitgeschichte als Tutor für International Cultural Studies sowie als wissenschaftliche Hilfskraft für die Aufarbeitung der Geschichte Speyers im Nationalsozialismus. Anschließend arbeitete Hans-Georg Ripken ein Jahr als Wissenschaftlicher Mitarbeiter und war unter Anderem Lehrperson der Proseminare: „Die Deutsche Wiedervereinigung“ und „Die NATO und das Ende des Kalten Krieges“.
Johannes Schneider
Johannes Schneider
DoktorandE-Mail: johannes.schneider[at]uni-mannheim.deUniversität Mannheim
Historisches Institut
Lehrstuhl für Zeitgeschichte
L 7, 7
68161 MannheimDie CDU/
CSU in der Nachrüstungsdebatte 1979 bis 1983 Gefördert von der Deutschen Forschungsgemeinschaft DFG
Betreuer: Prof. Dr. Philipp Gassert
Als Teilstudie des DFG-Forschungsprojekts „Die Nuklearkrise: Politischer Protest, Populärkultur und politische Kommunikation in den 1980er Jahren“ fragt die Dissertation „Die CDU/
CSU in der Nachrüstungsdebatte 1979 bis 1983“ (Arbeitstitel) nach Querverbindungen zwischen Friedensbewegung und etablierter Politik in Westdeutschland während einer von neuerlichen schweren Spannungen zwischen den Supermächten USA und UdSSR geprägten Phase des Kalten Krieges. Die Friedensbewegung mobilisierte weltweit Millionen Menschen, die gegen den als Reaktion auf die Dislozierung sowjetischer SS-20 Mittelstreckenraketen gefassten NATO-Doppelbeschluss und einen so ausgelösten, neuen Rüstungswettlauf demonstrierten. In der Bundesrepublik liefen Hundertausende Sturm gegen die erklärte Regierungspolitik sowohl Helmut Schmidts als auch (ab 1982) Helmut Kohls, den Doppelbeschluss umsetzen zu wollen. Doch die Parteien gerieten nicht nur wegen des gesellschaftlichen Widerstands in schweres Fahrwasser. Zum Richtungsstreit kam es auch zwischen Nachrüstungsbefürwortern und -gegnern innerhalb der Parteien selbst. Besonders tief gespalten war die SPD. Nicht nur aber auch deswegen zerbrach die sozialliberale Koalition; auf Bundeskanzler Schmidt folgte Helmut Kohl sowie eine Koalition aus CDU/
CSU und FDP. In dem Dissertationsprojekt stehen drei Fragen im Mittelpunkt. Erstens ist zu klären, wie die CDU/
CSU mit internem Widerspruch gegen die offizielle Parteipolitik, nämlich die Durchsetzung des NATO-Doppelbeschlusses, d. h. also die Stationierung von amerikanischen „Pershing II“ Mittelstreckenraketen und „Tomahawk“ Marschflugkörpern in Westdeutschland (und anderen westeuropäischen Staaten), umging. Anders als es der Öffentlichkeit von der Parteispitze suggeriert wurde, war auch innerhalb der Union Widerspruch vorhanden, der sich freilich nicht so offen wie bei den Sozialdemokraten Bahn brach. Die Beteiligung der Kirchen am Protest gegen die Nachrüstung und die Betonung der christlich-ethischen Dimension der Nachrüstungsfrage stürzte manchen Unionspolitiker in ein Dilemma, schließlich verstanden sich die Mitglieder als eine an den Werten der christlichen Ethik ausgerichtete Partei. Darüber hinaus handelte es sich bei diesen und anderen konservativen Demonstranten auch um die Wählerklientel der Union. Konkret heißt dies also: Welche Schlüsse hat die Parteispitze aus dem Zerbrechen der SPD gezogen, um die eigene Partei und Basis „zusammenzuhalten“? Es handelt sich um eine praktische Frage des Machterhalts, der schließlich auch den Abstimmungserfolg über die Nachrüstung im Bundestag am 22.11.1983 sicherstellen sollte. Zweitens ist zu untersuchen, ob die CDU/
CSU im Laufe der Zeit nicht nur aus dem Niedergang der SPD, sondern auch von der Friedensbewegung selbst zu lernen wusste. Lag die Deutungshoheit in der Debatte zu Beginn der großen Demonstrationen noch bei den „Gruppen der alternativen Sicherheitspolitik“ (so der damalige CDU-Generalsekretär Heiner Geißler über die Friedensbewegung), arbeitete die christlich-liberale Koalition seit der Regierungsübernahme daran, die Verhältnisse umzudrehen, ihre Passivität abzulegen und eine aktive Rolle einzunehmen. Die Parteiführung schien erkannt zu haben, dass neue Kommunikationsstrategien notwendig waren, um die (protestierenden) Menschen zu erreichen. Auffällig dabei ist, dass verstärkt Aktionsformen, Symboliken und sprachliche Stilmittel Einzug in die Veranstaltungen, Verlautbarungen sowie Informationspublikationen der Partei fanden. Es ist also zu prüfen, ob möglicherweise ein aktiver Austausch zwischen Parteimitgliedern unterhalb der Bundesebene und Anhängern der Friedensbewegung sowie die Zirkulation dieser Austauschergebnisse im CDU/ CSU-Parteiapparat solche Wandlungsprozesse bewirkten. Drittens soll analysiert werden, inwieweit der Streit um die Nachrüstung auch als gesamtgesellschaftlicher Selbstverständigungsprozess in der Bundesrepublik bewertet werden kann. Der anhaltend-massive Protest vor dem Hintergrund des „zweiten Kalten Kriegs“ zeigte die Bereitschaft von Teilen der Bevölkerung, tradierte Argumentationsmuster nicht länger unhinterfragt gelten zu lassen, sondern nach alternativen Konzepten suchen zu wollen. Gleichzeitig standen der Bundestagswahlerfolg der „Grünen“ und ihr erstmaliger Einzug in den Bundestag stellvertretend dafür, dass die Protestbewegungen dabei waren, sich zu institutionalisieren. Wenngleich die Grünen keinesfalls alle Forderungen des heterogenen Spektrums der einzelnen Interessengruppen repräsentierten, die unter dem Banner des Kampfs gegen die Stationierung von Mittelstreckenraketen ein gemeinsames, integratives Ziel gefunden hatten, deutete der Wahlerfolg doch darauf hin, dass eine Verschiebung von politischen Gewichten eingesetzt hatte. Die CDU/
CSU stand damit auch vor der Herausforderung, wie mit dem neuen politischen Gegner innerhalb des Parlaments umgegangen werden sollte, der sehr tief in der Protestbewegung verwurzelt war. Obwohl es die CDU/
CSU/FDP-Koalition war, die den Nachrüstungsbeschluss trotz aller Widerstände und nach langer und intensiver Debatte im Bundestag schließlich durchgesetzt hatte, besteht hinsichtlich der oben genannten Fragen noch ein Desiderat. Das hier portraitierte Promotionsprojekt soll dazu beitragen, diese Lücke zu schließen und damit ein genaueres Verständnis darüber zu schaffen, wie die CDU/ CSU in der Auseinandersetzung mit der Friedensbewegung agierte und (unbewusst?) dazu beitrug, moderne politische Kommunikation in der Bundesrepublik Deutschland in den frühen 1980er Jahren zu etablieren. Katharina Schweigart
Bild: Sabine RießKatharina Schweigart, M.A.
DoktorandinUniversität Mannheim
Historisches Institut
Lehrstuhl für Zeitgeschichte
L 7, 7
68161 MannheimE-Mail: katharina.ursula.schweigart students.uni-mannheim.deDas Verhältnis zwischen Polizei und Demonstrierenden am Beispiel der Proteste um die Wiederaufarbeitungsanlage in Wackersdorf
Betreuer: Prof. Dr. Philipp Gassert
Das Dissertationsprojekt über das Verhältnis von Polizei und Demonstrierenden am Beispiel der Proteste gegen die Wiederaufarbeitungsanlage in Wackersdorf (WAA) befasst sich mit der Frage, wie sich die Eskalationen zwischen Polizei und Demonstrierenden bei den Demonstrationen gegen die WAA entwickelten. Ziel der Arbeit ist es, die Einflussfaktoren, Dynamiken und Auswirkungen des Aufeinandertreffens dieser beiden Akteure zu untersuchen. Der Fokus liegt dabei auf der bisher kaum erforschten Perspektive der Polizei. Dabei soll nicht nur die Polizei als staatliche Institution, sondern auch die individuelle Perspektive der eingesetzten Polizisten betrachtet werden.
Dazu werden neben Artikeln in Fachzeitschriften, zu dieser Zeit veröffentlichten Untersuchungen und Akten auch Zeitzeugeninterviews mit in Wackersdorf eingesetzten Polizisten erzeugt und ausgewertet, um den persönlichen Erfahrungshorizont der Beamten zu beleuchten. Um Wackersdorf als bundesdeutschen Konfliktort zu erforschen, sind insgesamt etwa zwanzig Interviews mit Polizisten aus dem bayerischen und bundesdeutschen Raum geplant.
Das Forschungsprojekt will auf diese Weise einen historiographischen und damit gesellschaftlichen Beitrag leisten, indem es Wissen über die Hintergründe der Vorgehensweise der Polizei erarbeitet, analysiert und zur Verfügung stellt. Zugleich sollen Erkenntnisse über die Einlösung von Grundrechten wie der Versammlungsfreiheit und zu den Interaktionsdynamiken, die sich bis heute bei Protestdemonstrationen abspielen, generiert werden. Die gewonnenen Erkenntnisse sollen zu künftig mehr Verständigung und Toleranz zwischen Polizei und Demonstrierenden in einer intakten Demokratie beitragen.
Zur Person
Katharina Schweigart studierte Germanistik, Geschichte im Bachelor sowie den interdisziplinären Masterstudiengang Mittelalter- und Renaissancestudien an der Philipps-Universität Marburg und der Ludwig-Maximilians-Universität München. Von 2022 bis 2024 forschte sie zum Thema „Carl Georg von Maassen. Ein Dandy wie aus dem Buche“. Sie ist Absolventin des Zertifizierungskurses der Bayerischen Museumsakademie. Seit dem Studium arbeitet sie ehrenamtlich als Freie Kulturvermittlerin am Bayerischen Armeemuseum Ingolstadt sowie beim Bayerischen Roten Kreuz.
Seit Oktober 2024 ist Katharina Schweigart Fellow des Point Alpha Research Institut Erfurt.
Seit 01.01.2025 Stipendiatin der Gerda-Henkel-Stiftung.
Forschungsschwerpunkte: Polizeigeschichte im 20. Jhd., Erfahrungsgeschichte, Protestgeschichte, Umweltgeschichte
Vivian Seidel
Vivian Seidel, M.A.
DoktorandinUniversität Mannheim
Historisches Institut
Lehrstuhl für Zeitgeschichte
L 7, 7
68161 MannheimE-Mail: seidel uni-mannheim.deEuropäische Reaktionen auf die Strategische Verteidigungsinitiative (SDI)
Betreuer: Prof. Dr. Philipp Gassert
Das Dissertationsprojekt geht der Fragestellung nach, wie sich die diplomatischen Reaktionen und politischen Antworten auf die Strategische Verteidigungsinitiative (SDI) in und zwischen Westdeutschland, Frankreich, Großbritannien und den Niederlanden entwickelten; inwiefern die europäischen Regierungen einen gemeinsamen Konsens hinsichtlich der Mitarbeit an SDI finden konnten und bis zu welchem Grad sie sogar in der Lage waren eine kollektive Antwort zu harmonisieren. Die Arbeit verknüpft so die Reaktionen der westeuropäischen Regierungen mit den Dynamiken des Kalten Kriegs der 1980er Jahre und setzt diese in einen transatlantischen und diplomatiehistorischen Kontext.
Am 23. März 1983 brachte der amerikanische Präsident Ronald Reagan die strategische Gleichung der Abschreckung, festgehalten durch den ABM-Vertrag, ins Wanken, in dem er im nationalen Fernsehen seine sog. „Star Wars“-Rede hielt und das Forschungsprogramm Strategic Defense Initiative (SDI) ankündigte. Reagan sprach von der Vision mithilfe eines im Weltraum stationierten Schutzschilds Raketen abwehren zu können und somit Nuklearwaffen gänzlich obsolet zu machen, um letztendlich den Ausbruch eines Nuklearkriegs von vornherein zu verhindern. Die weltraumbasierte Raketenabwehr schien jedoch noch in den 1980er Jahren in weiter Ferne zu liegen und somit lieferte Reagans „Star Wars“-Rede einen Startschuss für ein großangelegtes Forschungsprogramm, das die technischen Möglichkeiten erarbeiten sollte. Reagan plante das Forschungsprojekt zu einem multilateralen und transnationalen Programm zu erweitern. In seiner Fernsehansprache richtete er sich deshalb nicht nur an die amerikanischen WissenschaftlerInnen, sondern auch an die Atlantische Gemeinschaft und ganz explizit an die westeuropäischen Partner, die durch das Verteidigungssystem ebenfalls vor Raketenangriffen geschützt werden sollten.
SDI löste im Laufe der 1980er Jahren in den USA und in Westeuropa politische Debatten aus, wodurch die Idee der strategischen Verteidigung zunehmend zu einer politischen Realität heranwuchs, der sich die westeuropäischen Regierungen stellen und Position beziehen mussten. Die Auswirkungen von SDI auf die wirtschaftliche, industrie-, strategie-, sicherheits- und außenpolitische Situation in der Bundesrepublik, Großbritannien, Frankreich und den Niederlanden schienen kurz nach Reagans Ankündigung 1983 nicht abschätzbar. Deshalb hatte es ausführlichen Konsultationen bedurft, um die womöglich weitreichenden Folgen bei einer Beteiligung an SDI einschätzen und bewerten zu können. Auch mehr als 30 Jahre nach Reagans Ankündigung wirft die strategische Verteidigungsinitiative die Frage auf, wie Westeuropa auf diese geplante Abwandlung der Abschreckungsstrategie reagierte und welche Folgen dies beinhaltete.
Im Verlauf der 1980er Jahre entwickelte sich die Diskussion um eine mögliche Teilnahme an SDI zu einem bleibenden Thema zwischen den Regierungen von Margaret Thatcher, Francois Mitterrand, Helmut Kohl und Ruud Lubbers. Die westeuropäischen Politiker_Innen und Diplomat_Innen versuchten in regelmäßigen bilateralen und multilateralen Gesprächen (z. B. deutsch-französische sicherheitspolitische Zusammenarbeit; Vierergespräch der Politischen Direktoren) und Verhandlungen in unterschiedlichen Konstellationen und Institutionen (z. B. NPG, WEU, NATO, EPZ) Vor- und Nachteile einer Teilnahme an SDI abzuwägen und über mögliche Konsequenzen zu diskutieren, die sich für die Atlantische Gemeinschaft hätten ergeben können, wenn sich die westeuropäischen Partner gegen, bzw. für eine Beteiligung an SDI entschieden. Diese diplomatischen Diskussionen, die die Frage nach SDI in den 1980er Jahren hervorgerufen hatte, spiegeln die transatlantischen sowie innereuropäischen Beziehungen zum Ende des Kalten Kriegs wider. Ferner zeigt diese politische Debatte die Bedeutung der transatlantischen Kooperation auf und rückt gleichzeitig die Frage nach einer westeuropäischen Sicherheitspolitik in den Vordergrund, die zu diesem Zeitpunkt innerhalb der Europäischen Gemeinschaft nicht in der heutigen Form existierte.
Das Dissertationsprojekt setzt die Diskussionen um SDI in einen diplomatiehistorischen und transatlantischen Zusammenhang, der verdeutlicht, dass Reagans Verteidigungsinitiative nicht auf einer bloßen nationalstaatlichen Ebene die Regierungen zu Antworten und Entscheidungen gedrängt hat, sondern diese auch ein wachsendes Bewusstsein für eine europäische Sicherheitspolitik geweckt haben. Durch den multiperspektivischen und multilateralen Ansatz können exemplarisch anhand von den Reaktionen auf SDI die transatlantischen Beziehungen der 1980er Jahre und die westeuropäische Kooperation aufgezeigt werden.
Zur Person
Vivian Seidel war wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Zeitgeschichte in Mannheim. Sie studierte European Studies in Maastricht und Nordamerikastudien in Augsburg. Ihr Dissertationsprojekt fokussiert sich auf die Strategische Verteidigungsinitiative (SDI), die 1983 von Ronald Reagan angestoßen wurde. Der Schwerpunkt bildet die transatlantische Perspektive auf SDI sowie die westeuropäischen Reaktionen. Vivian Seidel war von 2017 bis 2020 Promotionsstipendiatin der Friedrich-Ebert-Stiftung und hat neben der Promotion als Assistentin der Geschäftsführung und Assistentin des Präsidenten der Deutschen Gesellschaft für Amerikastudien (DGfA) gearbeitet.
Lucia Taglieber
Lucia Taglieber
DoktorandinUniversität Mannheim
Historisches Institut
Lehrstuhl für Zeitgeschichte
L 7, 7
68161 MannheimE-Mail: lucia.taglieber students.uni-mannheim.deLuftschutzmaßnahmen im Zweiten Weltkrieg zum Schutz der Kriegsproduktion – Eine Analyse der Industriestadt Ludwigshafen am Rhein
Betreuerin: Prof. Dr. Angela Borgstedt
Martin Utsch
Martin Utsch, M.A.
DoktorandUniversität Mannheim
Historisches Institut
Lehrstuhl für Zeitgeschichte
L 7, 7 – Raum 208
68161 MannheimE-Mail: mutsch mail.uni-mannheim.deIm Schatten der europäischen Einigung – Amerikanische Handelspolitik im Kontext der Uruguay-Runde der GATT-Verhandlungen (1986-1994)
Betreuer: Prof. Dr. Philipp Gassert
Die amerikanische Unterstützung des europäischen Projektes war um 1990 nicht mehr so selbstverständlich wie in den 1960er Jahren und den Dekaden davor direkt nach 1945. Die 1970er/
80er Jahre sahen einen Meinungswandel auf amerikanischer Seite, mit der zunehmenden Perzeption Europas als Handels- und Wirtschaftskonkurrent der USA. Das hatte in den 1950er Jahren noch ganz anders ausgesehen, standen doch die USA als Pate an der Seite des europäischen Projekts. Seit den 1970er war der europäische Protektionismus, insbesondere im landwirtschaftlichen Bereich, jenseits des Atlantiks eine Quelle des Ärgernisses, nicht zuletzt während GATT-Verhandlungen. Im Rahmen dieser hatten sich die Europäer als widerstandsfähige und kampfbereite Gegner erwiesen. Als sich der europäische Integrationsprozess Ende der 80er beschleunigte, behielt die amerikanische Position ihre Ambivalenz im Span- nungsfeld zwischen den Vorstellungen des transatlantischen Bündnisses und realen fortwährenden Handelskonflikten. Das Promotionsprojekt befasst sich mit der amerikanischen Handelspolitik zwischen dem Ende der 1980er und dem Anfang der 1990er Jahre im Kontext der GATT-Uruguay-Verhandlungsrunde. Die geplante Untersuchung zur Uruguay-Runde wird sich insbesondere mit den amerikanischen Perspektiven auf den sich zu dieser Zeit beschleunigenden europäischen Einigungsprozess befassen. Das Promot onsvorhaben konzentriert sich dabei im Gegensatz zu früherern Untersuchungen mehr auf der handelspolitischen Ebene der transatlantischen Beziehung, ein bis heute stürmischeren Teil dieser. Das Projekt basiert auf der Analyse von Dokumenten aus verschiedenen Ebenen des amerikanischen außenpolitischen Apparates. Dadurch soll ein umfassendes Bild der amerikanischen Handelspolitik gewonnen werden, von den ideologischen Einflüssen bei ihrer Gestaltung, bis zur Durchsetzung dieser Prinzipien.
Die Uruguay-Runde und ihre Ergebnisse, vornehmlich die Schaffung der Welthandelsorganisation, bilden einen „post-Cold War“ geborenen Pfeiler der heutigen internationalen „liberalen“ Ordnung, die auch vor dem Hintergrund des russischen Angriffs auf die Ukraine sowie des Aufstiegs Chinas und Indiens, in die Krise geraten ist. Das vorliegende Promotionsvorhaben kann dazu beitragen, heutige Spannungen historisch einzuordnen.
Zur Person
Martin Utsch studierte Geschichte in Straßburg, Bamberg und Mannheim. Während seines Masters in Mannheim von 2020 bis 2022 arbeitete er am Lehrstuhl für Zeitgeschichte als wissenschaftliche Hilfskraft und unterstützte dabei Dozenten bei der Vorbereitung und Durchführung von Lehrveranstaltungen. Im Herbst- und Wintersemester 2023 arbeitete er als Tutor für die International Cultural Studies Vorlesung. Martin Utsch war Fellow am Point Alpha Research Institut (PARI) von Februar bis Dezember 2023, und ist seit Januar 2024 Promotionsstipendiat der Gerda Henkel Stiftung.
Louisa van der Does
Louisa van der Does, M.A.
DoktorandinUniversität Mannheim
Historisches Institut
Lehrstuhl für Zeitgeschichte
L 7, 7
68161 MannheimE-Mail: louisa.van.der.does uni-mannheim.deDie Neunzehnte. Eine Straße im Rotlicht. Mannheims Bordellgasse im 20. Jahrhundert
Betreuerin: Prof. Dr. Angela Borgstedt
Mannheims Bordellgasse wurde im Jahre 1903 als Reaktion der Ordnungsmacht auf das „Dirnenunwesen“ ins Leben gerufen. In den fast 120 Jahren ihres Bestehens war sie immer (auch) Ort der Prostitution in Mannheim, obwohl es durch Stadt und Gesellschaft wiederholt Versuche gab, dies zu ändern. Weder Verbote noch Initiativen zur Umsiedelung des als Schandfleck empfundenen Rotlichtbezirks hatten jedoch eine langfristige Wirkung – bis heute wird Prostitution in der neunzehnten Querstraße der Neckarstadt-West ausgeübt.
Das Dissertationsvorhaben fokussiert sich auf den konkreten Bereich der Lupinenstraße (vor 1961: Gutemannstraße) beziehungsweise ihrer unmittelbaren Umgebung und nutzt die Perspektive des spatial turn, um diesen Bereich in der Stadtgeschichte zu ver-„orten“. Hier entsteht ein Geschichtsnarrativ im Kleinen; entsteht Mikrogeschichte. Diese kann zugleich als Spiegel für regionales und überregionales Geschehen sowie als Vergleich für die Situation in anderen deutschen Städten dienen. Es ergibt sich dabei ganz selbstverständlich, der Aufforderung des Historikers Karl Schlögel zu folgen und im Raum die Zeit zu lesen.
Untersucht werden die Konstitution und Transformation des Raums durch die lokalen Akteure. Dazu gehört die Raumoberfläche, die sich besonders frappierend verändert durch Zerstörungen im Luftkrieg oder die Abriegelung in den 1960-er Jahren. Aber auch soziale Prozesse, Beziehungen und Konstellationen unterliegen dem Wandel. Hier ist der Blick von peripher eingebundenen Personen, wie etwa Anwohnern, die sich in einem Zwischenraum jenseits von drinnen und draußen befinden, zu berücksichtigen. Zuletzt sollen affektive Bezüge zum Raum betrachtet werden, der durch die Gesellschaft ständig neu imaginiert und bewertet wird.
Methodisch stützt sich das Forschungsprojekt unter anderem auch auf Zeitzeugengespräche. Menschen, die es durch ihre Erinnerungen bereichern und unterstützen möchten, sind gebeten, ihr Wissen zu teilen und den Lehrstuhl für Zeitgeschichte zu kontaktieren.
Zur Person:
Louisa van der Does ist Doktorandin am Lehrstuhl für Zeitgeschichte.
Sie studierte Geschichte und Anglistik an der Universität Mannheim. 2018 schloss sie das Studium mit einer Master-Arbeit zur NS-Zwangssterilisation ab. Von 2019–2022 arbeitete sie für das MARCHIVUM im Bereich NS-Dokumentationszentrum.
Publikationen:
„Ein Arzt wurde nicht hinzugezogen…“ Leben und Sterben von Mannheimer ZwangsarbeiterInnen 1939-1945, in: Mannheimer Geschichtsblätter 43/
2022, S. 85–102. NS-„Euthanasie“ und Zwangssterilisation in der Pfalz am Beispiel der Stadt Speyer, in: Angela Borgstedt/
Christiane Pfanz-Sponagel (Hg.), Speyer im Nationalsozialismus (Das Buch erscheint Ende 2022).
Abgeschlossene Promotionsprojekte
Dr. Philipp Baur
Protest und Vergnügen: Musik in der Friedensbewegung der 1980er Jahre
(Betreuer: Philipp Gassert)
Diese Arbeit untersucht die Rolle von Musik in der Friedensbewegung der 1980er Jahre. Sie argumentiert, dass die Verschränkung von Protest und Vergnügen ein Kennzeichen der Protestkultur war. Vergnügen im Sinne einer positiven Emotion der Heiterkeit und des geteilten Spaßes war eine wichtige Ressource politischen Handelns – auch und gerade weil die nukleare Aufrüstung in Europa einen ernsthaften, bedrohlichen und damit negativen Anlass darstellte. Die vorliegende Arbeit erweitert das Verständnis der Nachrüstungsdebatte jenseits der „Raketenfrage“ und richtet den Fokus auf den gesellschaftlichen und kulturellen Wandel, wie er in der Musikkultur der Friedensbewegung zum Ausdruck kam. Die Demonstrationen waren – im O-Ton der Zeit – „Volksfeste für den Frieden.“ Die Musikprogramme der Großkundgebungen und der Festivals von „Künstler für den Frieden“ stehen für eine Popkulturalisierung und Eventisierung von Protest.
Im Zuge der Nachrüstungsdebatte entwickelte sich eine neue Form der Zusammenarbeit zwischen Protestbewegung und Musikbranche, die grundlegend für diesen Wandel war. Musik war auch Teil der performativen Proteststrategie der Friedensbewegung. Gemeinsames Singen traditioneller Volks- und Protestliedern, aber auch selbst komponierter oder umgedichteter Lieder war eine wichtige Aktionsform bei Protestmärschen, Friedenscamps und Sitzblockaden. Mit Musik erschuf die Friedensbewegung ihre eigene Identität als emotionale Gemeinschaft, verortete sich in einer Tradition von Protest- und Widerstandsbewegungen und erzeugte ein attraktives kulturelles Flair geprägt von positiven Emotionen und Vergnügen. Die Arbeit argumentiert, dass diese Öffnung der Friedensbewegung gegenüber dem generationellen Wandel und neuen, zeitgemäßen Protestformen mit ausschlaggebend für die Massenmobilisierung der Jahre 1982/
83 war. Baur, Philipp, Protest und Vergnügen. Musik in der Friedensbewegung der 1980er Jahre, Diss. Mannheim 2023. URL: https://madoc.bib.uni-mannheim.de/64551/.
Die Arbeit wurde durch ein Promotionsstipendium des Elitenetzwerks Bayern gefördert.
Dr. Anne Bieschke
“Frieden im Patriarchat ist Krieg für Frauen!” – Die westdeutsche Frauenfriedensbewegung der 1970er und 1980er Jahre
(Betreuer: Gassert)
Im Februar 1980 gingen Frauen in ganz Europa und darüber hinaus als „Frauen für den Frieden“ auf die Straße. Auch in Westberlin formierte sich Widerstand gegen den Machtkampf zwischen den USA und der Sowjetunion, gegen Frauen in der Bundeswehr, gegen die Herstellung und Stationierung von Nuklearwaffen. Aus dieser Gruppe von Frauen entstand innerhalb von Monaten eine eigene Frauenfriedensbewegung. Ihr Engagement und ihre Bedeutung für die politische und gesellschaftliche Auseinandersetzung um den NATO-Doppelbeschluss vom Dezember 1979 ist Gegenstand dieses Buchs. Die Frauenfriedensbewegung positionierte sich ab 1980 in und neben der Friedensbewegung und der Neuen Frauenbewegung. Obwohl die Aktivistinnen sich zu beiden Gruppen zugehörig fühlten, blieben sie eine eigenständige Bewegung. Die Frauenfriedensbewegung agierte als Schnittstelle; sie war gleichermaßen Bindeglied wie Reibungspunkt der einzelnen Parteien. Die Autorin zeigt die Frauenfriedensbewegung als genuinen Bestandteil der Demokratisierung und Herausbildung sozialer Bewegungen in Deutschland.
Dr. Sebastian Demel
Verschränkung von erfolgreicher Unternehmensführung, gesellschaftlicher Verantwortung und innovativer Wissenschaftsförderung. Das Beispiel Carl Zeiss, Otto Schott und Ernst Abbe
(Gefördert durch die Carl-Zeiss-Stiftung, Betreuer: Steinbach)
Das 19. Jahrhundert brachte mit dem bürgerlich geprägten Mäzenatentum eine neue Form gemeinwohlorientierten und zugleich zielgerichteten Handelns hervor. Im Zentrum stand dabei zunächst die Kunst- und Museumsförderung. Die durch Ernst Abbe im Jahr 1889 ins Leben berufene Stiftung unterscheidet sich von den bis dahin verbreiteten Förderungsinitiativen. Sie zeichnet sich durch die durchaus innovative Kombination von erfolgreicher Unternehmensführung, gesellschaftlicher Verantwortung, zielgerichteter Förderung unter Betonung der Mitverantwortung der Stifter für die weitere Entwicklung und durch das durchaus politische Ziel aus, gesellschaftliche Defizite abzubauen und eigenständige wissenschaftliche und wirtschaftliche Akzente zu setzen. Mit der Stiftung als Steuerungselement bürgerschaftlichen Engagements reagierte Abbe auf den sozialen Wandel zum Ende des 19. Jahrhunderts durch Anpassung an die von ihm wahrgenommenen Folgen von Industrialisierung und moderner Leistungsgesellschaft. Sein Handeln muss daher als Problembewusstsein und kritische Auseinandersetzung mit der Modernisierung und ihren Folgen sowie einer daraus resultierenden Übernahme bürgerschaftlicher Verantwortung interpretiert werden.
Grundlage für die Stiftung war die erfolgreiche Entwicklung der Firmen Carl Zeiss und Schott & Genossen zu Weltmarktführern durch die innovative Verbindung von wissenschaftlichem Sachverstand, mechanischer Präzision und industrieller Organisationsfähigkeit. Die Initiative zur Stiftungsgründung wiederum ging von Ernst Abbe aus. Der aus der Arbeiterschaft aufgestiegene Naturwissenschaftler sah sich als Unternehmer in der Pflicht, Verantwortung für die Allgemeinheit zu übernehmen und forderte “eine öffentliche Tätigkeit des Unternehmertums”. Er fasste daher den Plan, eine Stiftung zu gründen.
Die Carl Zeiss-Stiftung stellte ein innovatives Modell dar, wie durch die Übertragung der Unternehmensanteile in eine Art „unpersönliche Hand” ein Unternehmen wirtschaftlich erfolgreich und wissenschaftlich nachhaltig geführt werden könne. Gleichzeitig gestand das umfangreiche Stiftungsstatut von 1896 mit der Verrechtlichung der Arbeitsbeziehungen bei Zeiss und Schott der Belegschaft einklagbare Rechte und Leistungen zu, die einen Interessenausgleich mit der Unternehmensführung auf lange Zeit ermöglichen sollten. Soziale Projekte außerhalb der Betriebe kamen der Bevölkerung und besonders den unteren Schichten zugute, während den Wissenschaften an der Universität Jena umfangreiche Fördermittel zur Verfügung gestellt wurden.
Die Carl Zeiss-Stiftung erwies damit als ein Instrument, das den gesellschaftlichen Wandel mitgestaltete und die Anpassung an von Abbe wahrgenommene gesellschaftliche Problemlagen unterstützte. Gleichzeitig setzte sie sein wirtschaftliches und gesellschaftliches Idealbild in Realität um. Sein Ziel mit der Stiftung war es, auf eine freie Gemeinschaft von Staatsbürgern mit gleichen Rechten und Pflichten und unabhängig von Besitz und Stand hinzuarbeiten.
Ernst Abbe stand mit seinem Wirken aber nicht allein – in einem Vergleich mit anderen Sozialreformern, Stiftern und Unternehmensleitern wird das Beispiel der Carl Zeiss-Stiftung in den Kontext einer allgemeinen Verantwortungsgesellschaft zu Ende des 19. Jahrhunderts gestellt. Denn bürgerschaftliches Engagement im Kaiserreich war breit angelegt, vielfältig und muss als politisches Handeln verstanden werden, wenn Bürger auf die Ausgestaltung von Gesellschaft einwirkten, trotz defizitärer parlamentarischer Partizipationsmöglichkeiten. Die historische Bewertung des deutschen Kaiserreichs muss daher um die Perspektive einer handlungsfähigen und -willigen Zivilgesellschaft differenzierend erweitert werden.
Prof. Dr. Jacob S. Eder
Holocaust Angst. The Federal Republic of Germany and Holocaust Memory in the United States, 1977-1998
(University of Pennsylvania, Betreuer: Gassert)
This dissertation examines the perceptions and reactions of the leadership around Helmut Kohl, West German and then German chancellor from 1982 to 1998, to public United States, e.g. in the mass media, museums, monuments, and educational programs. Drawing on primary sources from over a dozen governmental, party, and institutional archives in both countries, it is among the first projects investigating German-American relations and transnational German efforts to cope with the Nazi past during the 1980s and 1990s to be based on archival documents (made accessible after multiple declassification requests). I argue that a network of West German officials and their associates in private organizations, mostly in the conservative spectrum, perceived themselves as the “victims” of American Holocaust memorial culture. Here they interpreted a lack of attention to the transformation of West Germany after 1949 and feared that public manifestations of Holocaust memory could severely damage its reputation in the United States. I refer to the concerns catalyzed by these perceptions as “Holocaust Angst.” This phenomenon propelled a number of developments, which I analyze in five case studies: the emergence of American Holocaust memorial culture as a political “problem” in the eyes of West German officials in the late 1970s; relations between the Kohl government and American Jewish organizations; West German efforts to influence the content of the United States Holocaust Memorial Museum’s permanent exhibition; cooperation between West German government officials and scholars to channel discourse about Germany and German history in the United States; and sources of conflict and instances of cooperation in German-American Jewish relations after German reunification. In the end, efforts made by the aforementioned circle of political decisionmakers, diplomats, lobbyists, and scholars to change American Holocaust discourse failed. Yet they managed to establish a stable relationship with several American Jewish organizations and founded institutions that continue to shape German-American relations today. German engagement with American Holocaust memory also contributed to the transformation of Holocaust memory in the Federal Republic and eventually rendered it a “positive resource” for German self-representation abroad.
The dissertation, completed in 2012 at the University of Pennsylvania, has won three prestigious international prizes: the 2013 Betty M. Unterberger Dissertation Prize of the Society for Historians of American Foreign Relations; the 2013 Fraenkel Prize in Contemporary History (Category B) of the Wiener Library; and the 2013 Marko Feingold Prize in Jewish Studies, awarded by the University, City, and State of Salzburg, Austria. It was also a finalist for the Fritz Stern Dissertation Prize of the German Historical Institute in Washington.
Link to a resulting publication (Google Books)
Dr. Marius Golgath
Le cœur étrange et l’âme française? : Kaufleute, Händler und Unternehmer in Lille: eine vergleichende Studie zur britischen, deutschen und schweizerischen Migration nach Nordfrankreich (1789-1914)
(Betreuerin: Borgstedt)
Die an der Philosophischen Fakultät der Universität Mannheim abgelegte Dissertation befasst sich mit dem Einleben von eingewanderten Geschäftsleuten in der nordfranzösischen Stadt Lille ausgehend von der öko- nomischen Tätigkeit. Als Quellen für den Untersuchungszeitrum 1789 bis 1914, dienen bisher wenig beachtete Archivalien. Der Schwerpunkt liegt nebendem Kultur- und Wissenstransfer auf dem Anpassungsprozess. Es wird gefragt, wie sich die Selbstwahrnehmung und Identität im Generationenverlauf veränderten. Mit der auf Homi K. Bhabha zurückgehenden Hybriditätstheorie zum „dritten Raum der Identität“ wird versucht, die bisherigen Assimilations- und Integrationskonzepte aufzubrechen. Dafür werden die englische Familie Geldart, die schottische Familie Baxter, die deutsche Familie Kolb und die schweizerische Familie de Felice untersucht. Mit Ludwig Philipp Kolb aus Grötzingen bei Karlsruhe besaß Charles de Gaulle einen deutschen Ururgroßvater, was selbst in Lille so gut wie unbekannt ist.
Dr. Ruth Hatlapa
Unser Obama : Europäische Identitätskontruktionen in der Berichterstattung über US-Wahlen.
(Betreuer: Gassert)
Alle vier Jahre verfolgen die Medien in Europa mit gebannter Aufmerksamkeit die Präsidentschaftswahl in den USA. Die Erwartungen, Hoffnungen und Sorgen, die in den Kommentaren zur Wahl ausgedrückt werden, machen vor allem die eigenen Werte und Normen sichtbar. Anhand der Wahlberichterstattung britischer, deutscher und spanischer Zeitungen zwischen 1992 und 2012 entschlüsselt Ruth Hatlapa erstmals systematisch, wie über die mediale Wahrnehmung der US-Präsidenten Bill Clinton, George W. Bush und Barack Obama europäische und nationale Identitäten und Visionen der Atlantischen Allianz nach dem Ende des Kalten Krieges verhandelt wurden. Mit dem Konzept des »Identitätsbaukastens« zeigt sie, wie die kleinteiligen Fragmente des Mediendiskurses als Bausteine für antiamerikanische oder romantisierende Amerikabilder dienen.
Hatlapa, Ruth, Unser Obama europäische Identitätskonstruktionen in der Berichterstattung über US-Wahlen, Frankfurt/
New York 2021. Dr. Kerstin Hofmann
Geschlossene Gesellschaft? Die Mitarbeiter der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen in Ludwigsburg 1958 bis heute
(Betreuer: Steinbach)
Das Dissertationsprojekt von Kerstin Hofmann befasst sich mit den Akteuren der justiziellen Aufarbeitung von NS-Verbrechen in der Bundesrepublik. Der Fokus liegt hierbei auf der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen in Ludwigsburg. Anhand der dort tätigen Staatsanwälte wird untersucht, welche Funktionen oder Bedeutung eine spezifische Gruppe von Akteuren für die Selbstaufklärung der bundesrepublikanischen Gesellschaft hatte. Die Dissertation leistet einen Beitrag zur juristischen Zeitgeschichte, der justiziellen “Vergangenheitsbewältigung” sowie der Ideen- und Mentalitätsgeschichte.
Dr. Evelyn Huber
Fighting Generikee: Resistance Against Native American Marketing Representations, 1930-2015
(Gefördert von der Gerda-Henkel-Stiftung, Betreuer: Gassert)
Das Promotionsprojekt „Fighting Generikee“ untersucht auf qualitativer und quantitativer Ebene Proteste in den USA gegen die Verwendung von Indigenität als Marketingstrategie sowie Unternehmensstrategien im (öffentlichen) Umgang mit diesen Protesten.
Jeep Cherokee, Eskimo Pies, Mohawk Carpet Mills, Land O`Lakes Butter, Red Man Tobacco und Crazy Horse Malt Liquor sind nur wenige Beispiele der zahlreichen Unternehmen, die ihre Marken und Produkte mit einem Touch von Indianness umwerben. Mit seinen prototypischen Eigenschaften wie Kraft, Stolz oder auch Wildheit bzw. deren Bezwingung soll der generische Werbeindianer beim Konsumenten Assoziationen von amerikanischer Herkunft, Natürlichkeit, Exotik und Macht hervorrufen. Indigene Kunst und Designs sind ebenso seit der Besiedelung Amerikas äußerst beliebt. Schmuck, Souvenirs und andere Kunstgegenstände bilden in den USA einen stetig wachsenden, milliardenschweren Absatzmarkt, der von Imitationen und Billigimporten gefährdet ist.
Der Aktivismusgegen Marketingpraktiken wendet sich spätestens seit den 1930er Jahren gegen die unautorisierte Verwendung indigener Designs, Symbole oder Namen. Seit den 1960er Jahren aber treten vermehrt auch ethische Aspekte wie stereotype Darstellungsweisen von Native Americans als „nobler Wilder“ oder „sexy Squaw“ in verschiedensten Werbemedien in den Vordergrund. Da inzwischen viele Stämme ihre Stammesnamen markenrechtlich geschützt haben, mehren sich seit der Jahrtausendwende auch Fälle von Markenrechtsverstößen, die gerichtlich verhandelt werden.
Betroffen waren in den USA bislang neben zahlreichen Kleinunternehmen auch Konzerne wie Anheuser-Busch, Nestlé, Liz Claiborne, Urban Outfitters, Nike oder GAP. Die geografische Verteilung von Protesten verweist nicht nur auf besonders aktive Kritiker, sondern auch auf deren u. a. regional unterschiedliche Interessenslagen, die von der fairen Repräsentation indigener Menschen, dem Schutz der Privatsphäre bis hin zur Sicherung des Einkommens reichen. Gelegentliche Proteste beispielsweise in Großbritannien, Frankreich und Neuseeland deuten darauf hin, dass entsprechende Werberichtlinien im Zuge der Globalisierung für international vertretene Firmen an Relevanz gewinnen.
Das Projekt untersucht zudem das Krisenmanagementvon Werbetreibenden angesichts der Proteste und die Bewertung der Strategien durch Nachrichtenmedien. Anhand dessen werden nicht nur effektive Proteststrategien, sondern auch erfolgreiche Umgangsweisen aus Firmenperspektive herausgearbeitet. Bei Vorwürfen wie Rassismus oder Sexismus entscheidet die Reaktion des Unternehmens darüber, ob diese dem Firmenimage letztlich schaden, oder ob die Kritik sogar zu einer positiven Imagebildung beitragen kann.
Bei der Verwendung von Indigenität zum Zweck der (Selbst-) Vermarktung und insbesondere bei der Praxis des Playing (sexy) Indian findet die Stellung weißer Frauen gegenüber indigenen Frauen besondere Beachtung, da dieses Mächteverhältnis in Protesten zunehmend als hegemonial angeprangert wird. In diesem Zuge arbeitet das Projekt heraus, inwieweit Kritiker Werbung als Ausdruck wie auch als Akteur desKolonialismus betrachten, und welche Strategien der Dekolonisation sie dem entgegensetzen.
Zur Person:
Evelyn Huber schloss 2013 erfolgreich den Masterstudiengang Historische Wissenschaften mit dem Schwerpunkt Neuere und Neueste sowie Amerikanische Geschichte an der Universität Augsburg ab. Nach ihrem akademischen Jahr an der Emory University (Atlanta, USA) begann sie 2015 an der Universität Mannheim unter dem Titel „Fighting Generikee“ ihre Promotion zum Thema Proteste gegen indigene Werberepräsentationen in den USA.
Dr. Sandra Kraft
Vom Autoritätskonflikt zur Machtprobe: Die Studentenproteste der 60er Jahre als Herausforderung für das Establishment in Deutschland und den USA
(Universität Heidelberg, Betreuer: Gassert)
War die 68er-Bewegung wirklich Ausdruck eines Generationenkonflikts? Sandra Kraft untersucht sie als Konflikt zwischen antiautoritärer Studentenbewegung und dem Establishment als deren politischem Gegenüber. Sie zeigt, dass die Radikalisierung der Bewegung auch von den (Re-)Aktionen des Establishments beeinflusst war. Der Blick auf verschiedene Protesträume – Universität, Straße und Gerichtssaal – verdeutlicht, dass gerade die situationsbedingte Dynamik, die sich aus dem Zusammenspiel der Akteure (Studenten auf der einen, Polizei und Establishment auf der anderen Seite) ergab, ausschlaggebend für den Verlauf der Ereignisse war.
Dr. Johannes Mühle
Vorbereitung auf den Verteidigungszustand. Ökonomische, technische, materielle und personelle Aspekte und Dimensionen der Mobilmachung und Militarisierung der DDR-Gesellschaft in den 1970er und 1980er Jahren
(Betreuer: Bange)
Das Dissertationsprojekt erforscht die Dimensionen und Auswirkungen der gesamtgesellschaftlichen wie territorialen Mobilmachung und Militarisierung der DDR in den 1970er und 1980er Jahren. Die besondere militärgeografische Lage der DDR an der westlichen Bündnisgrenze des Warschauer Vertrages machten nach den Maßgaben des sowjetischen Generalstabs und der Vereinten Streitkräfte besondere Vorkehrungen und Vorbereitungen nötig. Zum einen waren die bewaffneten Organe der DDR entsprechend den operativen Planungen personell wie technisch-materiell aufzustellen, um erfolgreich an offensiven Handlungen nach einem Angriff der NATO, der als unausweichlich angenommen wurde, teilzunehmen. Zum anderen mussten dafür das Territorium und die gesellschaftlichen Bereiche bereits im Frieden als potentielles Versorgungshinterland der Truppen des Warschauer Vertrages hergerichtet werden. So schrieb bereits 1961 das Verteidigungsgesetz der DDR die Nutzbarmachung aller Ressourcen des Landes für die Landesverteidigung vor.
Neben Lagern für Reserven zählen dazu die personelle Mobilisierung zur Landesverteidigung jenseits von Wehrdienst und Sozialistischer Wehrerziehung, die Ausrichtung des Infrastrukturnetzes auf die Belange der Heranführung von Truppen aus dem Osten oder die zahlreichen Schnittmengen und Querverbindungen zwischen dem militärischen und den zivilen Bereichen. Darüber hinaus wurden Mittel des zivilen Bereichs, beispielsweise des Gesundheitswesens oder Fahrzeuge, Maschinen und Gerät aus der Volkswirtschaft fest für die Mobilmachung von Truppen und den Verteidigungsfall eingeplant. So ergaben sich nicht nur zahlreiche zivil-militärische Doppelfunktionen, sondern mitunter eine erhebliche Verknappung von wichtigen Ressourcen des zivilen Sektors.
Die Arbeit folgt der Fragestellung, welche materiellen und personellen Kapazitäten der DDR-Gesellschaft über das Militär hinaus in welcher Weise für die Landesverteidigung eingesetzt bzw. eingeplant wurden. Anliegen ist es, die Ausmaße und Folgen für Gesellschaft, Infrastruktur und Wirtschaft des Landes dieser Vorbereitung auf den Verteidigungszustand zu systematisieren und quantifizieren sowie die Rolle der Militarisierung bei der Herrschaftssicherung der SED zu untersuchen.Zur Person
Johannes Mühle, geb. 1988 in Bad Muskau, studierte von 2007 bis 2013 die kulturwissenschaftliche Ausrichtung des Studiengangs Kultur und Technik an der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus (seit Juli 2013 Brandenburgische Technische Universität Cottbus-Senftenberg) auf Bachelor und Master. Seine Masterarbeit verfasste er zum Thema: „Wir waren eingesperrt und haben uns selbst bewacht” – Hintergründe, Motive und philosophische Aspekte des Dienstes bei den grenzsichernden Organen der DDR. Von 2012 bis 2013 war er studentische Hilfskraft am Lehrstuhl für Technikgeschichte an der BTU Cottbus, zwischen November 2013 und Mai 2014 erarbeitete er einen militärhistorischen Reiseführer und einen militärhistorischen Handbuchartikel im Rahmen des Projekts: Die Niederlausitz und die südliche Lubuskie. Eine Kulturlandschaft im Zentrum Europas. Sein im Juni 2014 aufgenommenes Promotionsprojekt am Historischen Institut der Universität Mannheim beschäftigt sich mit den Dimensionen und Auswirkungen der Mobilmachung und Militarisierung der DDR-Gesellschaft in den 1970er und 1980er Jahren.
Publikationen
Johannes Mühle, Jan Łukasiewicz. Bedeutung der logischen Analyse für die Erkenntnis, In: Mario Harz/
Jakob Meier (Hg.), Collegium Logicum: Schriften zur Logik, Cottbus 2011, S. 24 bis 27. Johannes Mühle, Glasindustrie als „Integrationsmotor”?. Das Beispiel Weißwasser als Glasindustriestandort im 19. Jahrhundert, In: Heinz-Dieter Heimann/
Klaus Neitmann/ Thomas Brechenmacher (Hg.), Die Nieder- und Oberlausitz – Konturen einer Integrationslandschaft, Bd. III: Frühes 19. Jahrhundert, Berlin 2014, S. 247 bis 253 (= Studien zur brandenburgischen und vergleichenden Landesgeschichte, Bd. 13). Dr. des. Lea Oberländer
Mannheim im Kontext der NS-„Euthanasie“-Verbrechen
(Gefördert durch: Heinrich-Vetter-Stiftung, Wilhelm-Müller-Stiftung, MARCHIVUM, Universitätsklinikum Mannheim, Universität Mannheim; Betreuer: Gassert)
Das im April 2017 begonnene Dissertationsprojekt beschäftigt sich mit dem hunderttausendfachen Massenmord an kranken und behinderten Menschen während der nationalsozialistischen Diktatur, für den der beschönigende Begriff „Euthanasie“ geprägt wurde. Die Studie verfolgt einen lokalen Ansatz und arbeitet die Geschichte der Stadt Mannheim in diesem Kontext erstmals auf.
Die Stadt Mannheim wird dabei als gesellschaftlicher, politischer und institutioneller Raum zum Untersuchungsgegenstand. Ziel der Arbeit ist es, die Rolle der Stadt im System des „Euthanasie“-Programms auf verschiedenen Ebenen zu analysieren. Dazu gehören Fragen zu Haltung und Handlung der politisch Verantwortlichen, zu Mitwisserschaft und Mittäterschaft städtischer und kirchlicher Institutionen sowie nach gesellschaftlicher Akzeptanz oder Ablehnung des Mordens. Von besonderem Interesse ist die Reaktion von Angehörigen der Opfer.
Da bislang keine umfassende wissenschaftliche Aufarbeitung der „Euthanasie“-Verbrechen an Mannheimer Bürgerinnen und Bürgern stattgefunden hat, ist intensive Grundlagenforschung ein wichtiger Bestandteil des Projekts. Zentral ist hierbei der Aufbau einer Datenbank, die möglichst alle Opfer der „Euthanasie“, die in Mannheim geboren wurden oder hier ihren letzten Wohnsitz hatten, erfassen soll. Eine solche Datenbank wird stets work in progress bleiben und auch über den Abschluss der Dissertation hinaus für Ergänzungen und Recherchen zugänglich bleiben. Die Ergebnisse der statistischen Auswertung der Datenbank bilden die Basis des Forschungsprojektes. Daneben sollen auch ausgewählte Einzelschicksale exemplarisch dargestellt werden.
Die Studie eröffnet eine neue Perspektive auf das Forschungsfeld „Euthanasie“, indem sie eine Stadt in den Fokus rückt, in der es mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht zu „Euthanasie“-Morden gekommen ist. In Mannheim gab es weder eine stationäre psychiatrische Anstalt noch Gaskammern, in denen Menschen planmäßig ermordet wurden. Die meisten psychisch Kranken wurden in der etwa 30 km entfernten „Heil- und Pflegeanstalt Wiesloch“ untergebracht und viele von ihnen von dort aus, oft auf Umwegen über weitere psychiatrische Einrichtungen, in die Tötungsanstalten Grafeneck und Hadamar deportiert. Die Auswirkungen räumlicher Distanz zwischen den Morden und der Heimatstadt der Opfer kann auf diese Weise erforscht werden.
Das Dissertationsprojekt verfolgt ein doppeltes Anliegen: Einerseits soll ein Beitrag zur historischen „Euthanasie“-Forschung entstehen, der durch den Fokus auf eine Stadt, nicht auf eine Anstalt, einen neuen Ansatz bietet. Andererseits versteht sich die Studie als Lokalgeschichte, die einen wichtigen Teil der Mannheimer Geschichte aufarbeitet und den wissenschaftlichen Grundstein für ein würdiges Gedenken an die Opfer legt.
Es ist ein besonderes Anliegen der Forschungsarbeit, neben den amtlichen Quellen auch Zeitzeugen-Interviews einzubeziehen. Angehörige von Mannheimer Opfern des nationalsozialistischen „Euthanasie“-Programmes, die mit ihren Erinnerungen das Projekt unterstützen möchten, sind herzlich eingeladen. Aber auch Personen, die sich im Allgemeinen an das Thema „Euthanasie“ während der NS-Zeit in Mannheim erinnern (z. B. an den damaligen Unterricht in der Schule, an Gespräche hierüber in der Familie, im Freundeskreis oder in der Kirche, an verbreitete Gerüchte oder Ängste in der Stadt), werden gebeten, Ihr Wissen mitzuteilen und sich an folgende Adresse zu wenden:
Zur Person:
Lea Oberländer ist seit April 2017 Doktorandin am Lehrstuhl für Zeitgeschichte. Zuvor studierte sie von 2011 bis 2017 Geschichte und Germanistik an der Universität Mannheim sowie an der University of Exeter, Großbritannien. 2017 schloss sie das Geschichtsstudium mit einer Master-Arbeit zum Verhältnis von Hochadel und Liberalismus im 19. Jahrhundert mit dem Titel „Der ‚Coburger Plan‘ – Eine liberale Alternative für Deutschland und Europa? Eine Studie zum Reformansatz monarchischer Repräsentation im 19. Jahrhundert“ am Lehrstuhl für Neuere Geschichte bei Prof. Dr. Erich Pelzer ab.
Publikationen:
„Wir sind voll Unruhe – und das ist unser Glück“. Jüdische Jugendbünde 1907–1938, in: Philipp Gassert / Ulrich Nieß u. a. (Hrsg.): Jugendprotest und Jugendkultur im 20. Jahrhundert. Über 100 bewegte Jahre in Mannheim, Mannheim 2017, S. 18–28.
Dr. Jennifer Rodgers
Vom ‘Archiv des Grauens’ zum ‘Schaufenster der Demokratie’: Der Internationale Suchdienst und transatlantische Vergangenheitspolitik in der Ära des Kalten Krieges
(University of Pennsylvania, Betreuer: Gassert)
Jenniger Rodgers interessierte sich für die Politisierung des Archivwesens und ihre Dissertation nimmt als Ausgangspunkt die vor kurzem veröffentlichten Akten des Internationalen Suchdienstes (ITS), der von den britischen und amerikanischen Regierungen im Jahre 1944 gegründet wurde, um die im Laufe des Zweiten Weltkrieges vermissten oder verschleppten Personen zu suchen. Der eskalierende Kalte Krieg aber führte zu einer starken Veränderung des ursprünglichen Mandats. Es geht mir daher um die Instrumentalisierung des Suchdienstes und des sogenannten „Archiv des Grauens” durch die Bundesrepublik Deutschland und die Westallierten zwischen den Jahren 1950 und 1956, um ihre politischen und kulturellen Ziele zu fördern und zu legitimieren. Sowohl die Verwaltung des Suchdienstes als auch die Kontrolle über die Archivalien waren von beträchtlicher zweckmässiger und symbolischer Bedeutung für die beteiligten Staaten, von den Vereinigten Staaten über die Bundesrepublik Deutschland bis zum Staat Israel. Meine Forschung zeigt die überraschende und einflussreiche Rolle des ITS in der Entwicklung des Kalten Krieges, der Beziehungen zwischen den Staaten des Westens in der Nachkriegszeit, sowie der frühen Geschichtspolitik der Bundesrepublik Deutschland.
Dr. Richard Rohrmoser
Dr. Richard Rohrmoser
Wissenschaftlicher Mitarbeiter und Fachstudienberatung Geschichte Lehramt (B.Ed., M.Ed.: Nachnamen J–R)Universität Mannheim
Lehrstuhl für Zeitgeschichte
L 7, 7 – Raum 302
68161 MannheimE-Mail: rirohrmo mail.uni-mannheim.deSprechstunde:
Di 14–15 Uhr und nach Vereinbarung»Sicherheitspolitik von unten« – Gewaltfreie Proteste gegen nukleare Mittelstreckenraketen in Mutlangen 1983-1987
(Gefördert von der Deutschen Forschungsgemeinschaft, DFG, Betreuer: Philipp Gassert)
Im Konflikt um den NATO-Doppelbeschluss und der Stationierung atomarer Mittelstreckenraketen in der Bunderepublik avancierte der kleine schwäbische Ort Mutlangen zum Kristallisationspunkt und Inbegriff des Nachrüstungsprotests. Aufgrund der dortigen Konzentration von Demonstrationen und Blockaden gegen die Dislozierung der Pershing II Raketen ab dem „Heißen Herbst“ 1983 wurde Mutlangen jedoch nicht nur zum physischen Epizentrum für Protest, sondern wegen der ausschließlich gewaltfrei ausgetragenen Aktionsformen auch zu einem zentralen Symbolort der Friedensbewegung. Auf drei verschiedenen Analyseebenen werden die Mikrogeschichte des Protests sowie die daraus resultierenden juristischen und gesamtgesellschaftlichen Implikationen untersucht.
(1) Der Protest vor dem Tor: In einem ersten Schritt werden die konkreten Aktionsformen (Sitzblockaden, Manöververfolgungen, etc.) und Strategien („Ziviler Ungehorsam“) der diversen Protestgruppen vor dem Mittelstreckenraketen-Depot in Mutlangen sowie die Reaktionen von deren Konfliktpartnern – d. h. die Bundesregierung, die Lokal- und Landespolitik, das Militär, die Polizei sowie die Anwohner – erforscht.
(2) Der Protest vor Gericht: Anknüpfend daran wird die Verlagerung der Auseinandersetzung in die Gerichtssäle diskursiv untersucht, wo Tausende von Strafverfahren durch alle Instanzen bis hin zum Bundesverfassungsgericht geführt wurden und somit eine regelrechte „Justizkrise“ auslösten, die schließlich zu zwei sich widersprechenden Bundesverfassungsgerichtsurteilen in den Jahren 1986 und 1995 führte.
(3) Der Protest und die Öffentlichkeit: In einer dritten Analyseebene werden die öffentliche Wahrnehmung und der mediale Diskurs über die gewaltfreien Aktionsformen der diversen Protestgruppen in der etablierten als auch alternativen Presse sowie das Ausmaß der gesellschaftlichen Akzeptanz und die Fortführung dieser Performanzen im Rahmen einer institutionalisierten Protestinfrastruktur thematisiert.
Der Interaktionsraum Mutlangen – mit der Friedensbewegung und ihren Konfliktpartnern – ist eine anschauliche Fallstudie dafür, dass Konflikte nicht zwangsläufig konsenssprengend und dysfunktional verlaufen müssen, sondern den politischen Prozess schöpferisch beleben und dynamisieren können. Während in weiten Teilen der bundesdeutschen Friedensbewegung nach dem Stationierungsbeschluss des Bundestages im Herbst 1983 ein Gefühl der „Enttäuschung“ ob der mangelnden Resonanz ihrer Aktionen einsetzte, projizierten einige friedenspolitische Akteure die zuvor abstrakt konstatierte Kriegsgefahr auf einen konkreten dezentralen Ort und propagierten „nahraumorientierte Handlungsansätze“.
In diesem in Mutlangen ausgetragenen „Streit um den Frieden“ wurde offenkundig, dass die Befürworter sowie die Gegner der Pershing II Raketen mit entschiedenem Durchsetzungswillen, aber dennoch integrativ, am bundesrepublikanischen Konsens arbeiteten, wie durch das zweite Bundesverfassungsgerichtsurteil von 1995 und der daraus resultierenden Rehabilitierung der Sitzblockierer deutlich wird. Dabei kam es bei den friedenspolitischen Akteuren zu Auflösungserscheinungen des binären Denkparadigmas im Ost-West-Konflikt, ein „Abschied vom Kalten Krieg“ fand in dieser „dezentralen Phase“ der Auseinandersetzung zumindest im schwäbischen Mutlangen jedoch noch keineswegs statt.
Link zur Universitätsbibliothek Mannheim.
Kontakt: richard.rohrmoser[at]web.de
Dr. Bernhard Sassmann
Amerikanische Kultur(en) der Intelligence: Kulturelle Repräsentationen, öffentlicher Diskurs und militärstrategische Notwendigkeiten, 1914-1950
(Gefördert durch die Gerda Henkel Stiftung, Studienabschlussstipendium der Landesgraduiertenförderung (LGF), Betreuer: Gassert)
Das Dissertationsprojekt untersucht inwieweit sich im Zusammenspiel nationaler Traditionen, Normen und Motivationslagen, kultureller Repräsentationen der Geheimdienste in Literatur und Medien sowie der Praxis nachrichtendienstlicher Arbeit eine spezifisch amerikanische Geheimdienstkultur herausbildete. Kulturelle Repräsentationen der Geheimdienstarbeit in Zeitungen und Belletristik formten in der Entstehungsphase der modernen amerikanischen Geheimdienste nicht nur die gesellschaftlichen Vorstellungen von nachrichtendienstlicher Arbeit; im öffentlichen und fachöffentlichen Diskurs konstruierte Konzepte und Perspektiven zu diesem neuen Militärzweig wirkten darüber hinaus, so die Forschungshypothese, auch direkt auf die Entwicklung eigenständiger Organisationsformen, Zielsetzungen und Reformanstrengungen der amerikanischen Geheimdienste zurück.
Chronologisch fokussiert die Arbeit auf die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts. In der Zeit des Ersten Weltkrieges liegen die Ursprünge der modernen amerikanischen Militärgeheimdienste; in der Zwischenkriegszeit wurde Military Intelligence erstmals zum Gegenstand zahlreicher öffentlicher Publikationen und fachwissenschaftlicher Studien. Die größten Entwicklungsschübe erfuhren die militärischen Nachrichtendienststrukturen in den USA allerdings erst ab 1940. Noch vor Kriegseintritt versuchten die Vereinigten Staaten die sehr heterogenen Auslandsnachrichtendienste erstmals zentral im Office of the Coordinator of Information (ab 1942: Office of Strategic Services/
OSS) zu bündeln und erreichten dadurch binnen kurzem eine bemerkenswerte Professionalisierung und Verwissenschaftlichung. Mit diesem Prozess ging eine äußerst kontroverse öffentliche Berichterstattung über den neuen Militärzweig einher. Dessen Methoden und Effizienz wurden dabei nicht selten auch unter moralischen Gesichtspunkten kritisiert und bisweilen auch als „unamerikanisch” abgelehnt. Die grundsätzliche Notwendigkeit nachrichtendienstlicher Tätigkeit wurde dabei gleichzeitig jedoch selten bestritten. Auch das aufstrebende Genre der amerikanischen spy novels war zentraler Teil dieses Selbstverständigungsprozesses in der amerikanischen Öffentlichkeit. Denn auch in der Belletristik zeichnete sich dieses spezifisch-amerikanische Spannungsfeld zwischen dem mutmaßlichen Imperativ klandestiner Tätigkeit angesichts äußerer Bedrohungslagen einerseits und dem Ideal demokratischer Offenheit andererseits deutlich ab.
Diese zwiespältige Wahrnehmung von Intelligence spiegelte sich darüber hinaus auch im Diskurs des Fachpublikums wieder. Die Kommentare regulärer Soldaten und Offiziere in Fachzeitschriften belegen ein weitreichendes Unverständnis für die neue Intelligence-Community in den USA und Skepsis gegenüber dessen „unmilitärischen” Methoden. Dass sich Geheimdienst-Offiziere einem ausgeprägten Rechtfertigungs- und Profilierungsdruck ausgesetzt sahen, manifestiert sich im selben Textkorpus vielfach in einer betont positiven Selbstdarstellung.
Um nachweisbar zu machen, wie die Militär- und Auslandsnachrichtendienste der USA in ihrem nationalen, soziokulturellen Kontext diskursiv bewertet wurden und wie sich vor diesem Hintergrund ihre Außen- und Selbstwahrnehmung gestaltete, werden zwei verschiedene Diskursformen untersucht: Erstens öffentliche, durch Massenmedien und durch die zeitgenössische Populärkultur vermittelte Diskurse (Tageszeitungen; Magazine und zeitgenössische spy novels/spy movies); zweitens die Behandlung des Themas in der Fachöffentlichkeit, mit Schwerpunkt auf der Militärpublizistik (militärwissenschaftliche Wochen- und Monatszeitschriften).
In jeder dieser Diskursformen werden dabei drei herausragende Diskursthemen analysiert: Erstens der Stellenwert der Geheimdienste in Gesellschaft und Militär, zweitens die besonders in der Populärkultur stark personifizierten Sinndeutungen von Intelligence und drittens die nachrichtendienstlichen Erkenntnisinteressen, Informationsquellen und Methoden. Durch die Analyse der drei wichtigsten thematischen Diskurse über die militärischen Nachrichtendienste in zwei verschiedenen Diskursformen, lässt sich für die Vereinigten Staaten somit eine Art „footprint” der Intelligence-Kultur bestimmen.Das Werk ist 2021 erschienen: https://www.nomos-shop.de/nomos/titel/die-us-geheimdienste-im-zeitalter-der-weltkriege-id-97415/
Dr. Philipp Scherzer
„Do We Still Need Europe?“ Neokonservative Europabilder und transatlantische Entfremdung von den 1970er Jahren bis ins 21. Jahrhundert
(Gefördert von der Gerda-Henkel-Stiftung, Betreuer: Gassert)
While in the last twenty years perceptions of Europe have been subjected to detailed historical scrutiny, American images of the Old World have been almost wantonly neglected. As a response to this scholarly desideratum, this pioneering study analyzes neoconservative images of Europe since the 1970s on the basis of an extensive collection of sources. With fresh insight into the evolution of American images of Europe as well as into the history of U.S. neoconservatism, the book appeals to readers familiar and new to the subject matters alike. The study explores how, beginning in the early 1970s, ideas of the United States as an anti-Europe have permeated neoconservative writing and shaped their self-images and political agitation. The choice of periodization and investigated personnel enables the author to refute popular claims that widespread Euro-critical sentiment in the United Studies during the early 21st century – considerably ignited by neoconservatives – was a distinct post-Cold War phenomenon. Instead, the analysis reveals that the fiery rhetoric in the context of the Iraq War debates was merely the climax of a decade-old development.
Dr. Hubert Seliger
„Politische Anwälte?”: Die Verteidiger der Nürnberger Prozesse
(Universität Augsburg, Betreuer: Gassert)
Die Arbeit rückt die Strafverteidiger der Nürnberger Prozesse als eigenständige, nicht zuletzt politische Akteure neben ihren Mandanten in den Blick. Im ersten Teil der Studie werden unter Heranziehung einer breiten Quellenbasis erstmalig sämtliche Biographien der in den Nürnberger Prozessen aufgetretenen Strafverteidiger und die Zusammensetzungen der einzelnen Verteidigerteams untergliedert nach Mandantengruppen vorgestellt. Der zweite Teil der Studie steht unter dem Schlagwort des „politischen Anwalts“ (Otto Kirchheimer). Anhand ausgewählter Dokumente werden vor dem Hintergrund ihrer politischen Sozialisation Erklärungs- und Rechtfertigungsansätze prominenter Nürnberger Strafverteidiger wie Otto Kranzbühler, Rudolf Dix oder Alfred Seidl für das Dritte Reich und seiner Folgen analysiert. Abschließend untersucht die Arbeit deren Rolle in den gesellschaftlichen Debatten um den Umgang mit dem NS-Regime und als Strafverteidiger von NS-Gewalttätern in der Bundesrepublik Deutschland.
Dr. Cristina Stanca-Mustea
Carl Laemmle – A Transatlantic Mediator
(Universität Heidelberg, Betreuer: Gassert)
Dr. Olga Volz
Verbotener Umgang mit Zwangsarbeitern
(Betreuerin: Borgstedt)
Abgeschlossene Habilitationsprojekte
PD Dr. Maria Alexopoulou
„Rassistisches Wissen in der Transformation der Bundesrepublik Deutschland in eine Einwanderungsgesellschaft (1940–1990)“
(Universität Mannheim, Vorsitz des Mentorats: Philipp Gassert)
Seit den 1960er Jahren setzte in Westdeutschland ein Prozess ein, in dem sich die Bundesrepublik widerwillig und nur langsam von der Idee zu verabschieden begann, ein „Nichteinwanderungsland“ zu sein: Ein Teil der als vorübergehende „Gäste“ verstandenen Arbeitsmigrant*innen wurde sesshaft, ihre Familien zogen nach, hinzu kamen viele Menschen, die als Asylsuchende in die Bundesrepublik migrierten. Das vorliegende Projekt untersucht gesellschaftliche und politische Aushandlungsprozesse der sozialen Konzepte „Deutscher“ und „Ausländer“ zwischen den 1960er und 1990er Jahren, in denen sich die Bundesrepublik zu einer Einwanderungsgesellschaft wandelte. Grundhypothese ist, dass die damit verbundenen Diskurse und Praktiken durch tradierte rassistische Wissensbestände geprägt waren, die in der Folge immer wieder reproduziert, aber auch transformiert und in Frage gestellt wurden.
Rassismus ist ein diachrones Phänomen, das in unterschiedlichen zeitlichen und räumlichen Kontexten verschiedene Ausprägungen angenommen hat. Autoren wie Etienne Balibar und Stuart Hall postulierten in den 1980er Jahren einen “Rassismus ohne Rassen”: Zwar sei der Begriff ‚Rasse‘ aus öffentlichen Diskursen (zumindest in Europa) verschwunden, nicht aber das Phänomen Rassismus als Denkmuster und Praxis. Neue Begrifflichkeiten wie “Ideologien der Ungleichwertigkeit” oder auch Ausländer- und Fremdenfeindlichkeit, die besonders in Deutschland gebräuchlich sind, verstellen dabei geradezu den Blick auf die historische Kontinuität des Phänomens Rassismus. Im Kontext meiner Studie möchte ich Rassismus nicht als Ideologie verstanden wissen, sondern als Komplex von Wissensbeständen, die in Institutionen, Strukturen, Alltagspraktiken und Denkmustern auch in der „Mitte der Gesellschaft“ eingeschrieben waren und noch sind und welche die Binarität von „Ausländer“ und „Deutscher“ konstituiert und lange stabilisiert haben.
Die Untersuchung erfolgt anhand von drei Fallstudien:
- Die internen Diskurse der politischen Entscheidungsträger und die Verwaltungspraktiken rund um die Themen Einwanderung und Einbürgerung auf allen gouvernementalen Ebenen.
- Eine Mentalitätsgeschichte der deutschen Bevölkerung in ihrem Bezug zu den „Ausländern“.
- Die Widerspiegelung dieser gouvernementalen und alltäglichen Diskurse und Praktiken bei den Migrant*innen sowie deren Selbstpositionierung zu Einwanderung und Einbürgerung.
Ziel der Untersuchung wird es sein herauszuarbeiten, wie relevant diese Grenzsetzung der „Deutschen“ zu den „Ausländern“, wie sie durch die formaljuristischen Vorgaben stabilisiert wurde und auf der Alltagsebene lange dominierte, für die Entwicklung der Einwanderungsgesellschaft Deutschland war, wo sich Zäsuren ergaben und wo Kontinuitäten bleiben. Die Antworten auf diese Fragen haben letztlich das Potential, eine Neubewertung des Weges der Bundesrepublik in ein pluralistisches und demokratisches Staats- und Gesellschaftsgebilde nötig zu machen und damit ein neues „nationales Narrativ“ zu erfordern.
Prof. Dr. Angela Borgstedt
Badische Anwaltschaft und sozioprofessionelles Milieu in Monarchie, Republik und totalitärer Diktatur 1864-1945, Karlsruhe 2012 (=Schriften des Rechtshistorischen Museums Karlsruhe 25)
Prof. Dr. Reinhild Kreis
Selbermachen im Konsumzeitalter. Werte, Ordnungsvorstellungen und Praktiken vom späten 19. Jahrhundert bis in die 1980er Jahre.
Ein Produkt als „selbstgemacht” zu erkennen und zu benennen, weckt höchst unterschiedliche Assoziationen. Je nach Kontext wird Selbstgemachtes als schön, hässlich, gesund, ungesund, modern, altmodisch, liebevoll oder lieblos usw. bewertet. In jedem Fall wird es abgegrenzt von Dingen, die auf andere Weise hergestellt wurden, insbesondere durch industrielle (Massen)Produktion. Hier setzt die Untersuchung an: Mit der Zunahme ge- und verbrauchsfertiger Güter und den damit verbundenen wachsenden Wahlmöglichkeiten für Konsumenten entstanden neue Assoziations- und Sinnzusammenhänge, in denen die verschiedenen Optionen normativ aufgeladen waren. Wie das Selbermachen bewertet wurde, war dabei stets davon abhängig, wer unter welchen Bedingungen und aus welchen Motiven heraus etwas selber machte oder nicht. Mit den wachsenden Möglichkeiten, ob und durch wen etwas selbst gemacht wurde, standen zudem überkommene Wissensbestände und Fertigkeiten, Rollenbilder und Beziehungsmuster in Frage. Sie mussten neu definiert und legitimiert werden.
Die Studie nimmt die Praktiken und die Thematisierung des Selbermachens als Ausgangspunkt, um nach Formen des Umgangs mit den Herausforderungen der modernen Konsumgesellschaft zu fragen. Die „Verfügbarkeit der Dinge” in der Konsumgesellschaft zog neue Konsumgewohnheiten nach sich, die jedoch erst ausprobiert und eingeübt werden mussten. Die damit verbundenen Aushandlungsprozesse lassen sich anhand der Differenzierung zwischen Selbermachen/
Nicht-Selbermachen exemplarisch nachvollziehen. Als gesellschaftliche Selbstverständigungsdebatten zeigen sie, wie Ordnungsvorstellungen, Wertehaltugen und Rollenerwartungen neu verhandelt wurden. Die Studie ist an der Schnittstelle mehrerer Forschungsfelder angesiedelt. Konsumgeschichte wird mit Alltags-, Bildungs-, Wissenschafts- und Geschlechtergeschichte verbunden. Ziel ist es, über die Praktiken und die Thematisierung des Selbermachens Formen des Umgangs mit den Herausforderungen der sich herausbildenden Konsumgesellschaft in der Hochmoderne zu ermitteln. Um verschiedene Wege in die Konsumgesellschaft deutlicher zu profilieren, werden die USA in einem asymmetrischen Vergleich systematisch in die Untersuchung einbezogen. Hier setzten die Entwicklung zur Konsumgesellschaft früher und stärker ein, und als „Laboratorium der Moderne” waren die Vereinigten Staaten während des gesamten Untersuchungszeitraums Vor- und Gegenbild zugleich.
Das „Selbermachen im Konsumzeitalter” wird exemplarisch für zwei zentrale Bereiche untersucht: 1. Heimwerken, und 2. Ernährung und Nahrungsmittelzubereitung.
Frau Kreis ist inzwischen Inhaberin des Lehrstuhls für Geschichte der Gegenwart an der Universität Siegen. Hier gelangen sie zu ihrem Ehemaligen-Profil.
PD Dr. Stefan Paulus
Die Repräsentation des Politischen. Politische Kommunikation und Selbstdarstellung zwischen Weimar und Bonn
(Universität Augsburg, Vorsitz des Mentorats: Gassert).
Kein historischer Zeitraum verdeutlicht die Paradoxie von Aufstieg und Fall demokratischer Ordnungen in so drastischer Weise wie das 20. Jahrhundert. In besonderer Form trifft diese Feststellung für die deutsche Geschichte zu. Flankiert von zwei Weltkriegen erlebten die Deutschen allein in den drei Jahrzehnten zwischen 1918 und 1949 vier politische Systemwechsel. Die deutsche und internationale Zeitgeschichtsforschung haben seit den 1950er Jahren ein breites Spektrum an politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Faktoren herausgearbeitet, die für die Auflösung der Weimarer Republik und den nachhaltigen Erfolg der Bonner Demokratiegründung verantwortlich zeichnen. Der für die Stabilität eines demokratischen Systems nicht minder konstituierende Konnex von gesellschaftlicher Demokratieakzeptanz einerseits und öffentlicher Darstellung von Politik andererseits fand bislang jedoch kaum adäquate Beachtung. Das bestehende Forschungs-defizit verwundert insofern, als die öffentliche Wahrnehmung von Politik in modernen Massendemokratien entscheidend durch das zumeist medial vermittelte ,Bild‘ von Politik geprägt wird. Diese Form der politischen Kommunikation zwischen Regierenden und Regierten erfüllt daher eine wichtige System stabilisierende bzw. bei defizitärer Ausprägung auch destabilisierende Funktion. Neben ihrem informativen Charakter meint politische Kommunikation zudem die Übermittlung sinnlich-emotional erfahrbarer Ausdrucksformen und Botschaften in Form von Bildern, Inszenierungen, Ritualen, Symbolen, Rhetoriken und Zuschreibungen. Speziell diese performative Dimension stiftet innerhalb einer politischen Ordnung Identität, Legitimität und Loyalität. Dies gilt in besonderem Maße für Phasen fundamentaler politischer Umbrüche, wie sie sich in Deutschland nach 1918 und nach 1945 vollzogen haben. In beiden Fällen stand die sich neu formierende politische Elite vor der zentralen Herausforderung, die durch die Erfahrungen von Monarchie und Krieg bzw. Diktatur und Krieg geprägte Bevölkerung von der Notwendigkeit eines demokratischen Wandels zu überzeugen.
An dieser Stelle setzt das vorliegende Forschungsprojekt an. Es basiert auf zwei forschungsleitenden Hypothesen: Die erste Hypothese geht davon aus, dass eine nur defizitär entwickelte öffentliche Selbstdarstellung von Staat und Politik entscheidend zur Auflösung der Weimarer Republik mit beigetragen hat. Wie die jüngsten Biographien zu den beiden Reichpräsidenten Friedrich Ebert und Paul von Hindenburg eindrucksvoll darlegen konnten, ließ die betont nüchterne und zurückhaltende Repräsentationskultur des Weimarer Staates und seiner Protagonisten ein Legitimitäts- und Identifikationsvakuum entstehen, welches nach Eberts Tod – mit bekanntlich fatalen Folgen für die erste deutsche Demokratie – zunächst von der öffentlichkeitswirksamen Selbstinszenierung des vermeintlich republikanischen ,Ersatz-kaisers‘ und ,Helden von Tannenberg‘ Hindenburg und wenig später von den Propaganda- und Inszenierungsmaßnahmen der Nationalsozialisten und ihres ,Führers‘ Adolf Hitler gezielt und mit großem Erfolg gefüllt werden konnte. Diese aus demokratiepolitischer Perspektive negative ,Weimarer Erfahrung‘, so die zweite Hypothese, schärfte nach der weltpolitischen Zäsur von 1945 innerhalb der politischen Elite der jungen Bundesrepublik das Bewusstsein für die Bedeutung und Notwendigkeit einer modernen und effizienten politischen Selbst-darstellung und Öffentlichkeitsarbeit. Für diese Annahme spricht die Tatsache, dass so einflussreiche wie prominente politische Persönlichkeiten wie Konrad Adenauer, Theodor Heuss, Kurt Schumacher, Paul Löbe, Marie-Elisabeth Lüders, Hermann Ehlers oder Carlo Schmid wenigstens zwei Generationen angehörten, die beinahe sämtliche Systemwechsel seit Ende des Kaiserreichs mehr oder weniger bewusst durchlebt hatten, ja teilweise – wie im Falle Adenauers, Löbes oder Lüders – bereits vor dem Schicksalsjahr 1933 eine politische Funktion inne hatten. Aufgrund dieser jeweiligen generationsspezifischen Erfahrungen war sich das politische Spitzenpersonal der zweiten Republik nicht allein der mit einer öffentlichkeitswirksamen politischen „Propaganda” und Selbstdarstellung verbunden Gefahren, sondern auch den damit einhergehenden demokratiepolitischen Chancen bewusst. Für sie stand außer Frage, dass der neuerliche Demokratieversuch durch eine im Vergleich zur Zwischenkriegszeit effizientere, d. h. in erster Linie systemstabilisierende Form der politischen Kommunikation begleitet werden müsse. Diesem Ansinnen entsprach beispielsweise der vergleichsweise medienwirksame, oftmals bewusst symbolisch aufgeladene und zugleich autoritäre Regierungsstil des ersten Bundeskanzlers, dem es laut eines Artikels in den Frankfurter Heften aus dem Jahre 1951 erfolgreich gelungen sei, den obrigkeitshörigen „Hindenburg-Deutschen” mit der demokratischen Staatsform auszusöhnen.
Unter Berücksichtigung der Gegebenheiten in der Weimarer Republik besteht das Hauptziel des Forschungsvorhabens darin, zu analysieren, inwieweit diverse generationsspezifische Erfahrungen mit dem Scheitern der Weimarer Republik in der Gründungs- und Konsolidierungsphase der Bundesrepublik bei den damaligen politischen Eliten einen empirisch nachweisbaren Lernprozess ausgelöst haben und welche konkreten Methoden bzw. Strategien medialer Politikvermittlung und politischer Öffentlichkeitsarbeit auf dieser Erkenntnisbasis mit dem Ziel der Systemstabilisierung bzw. -konsolidierung entwickelt wurden. Folgende Themenbereiche und Untersuchungsschwerpunkte stehen im Zentrum der vergleichend angelegten Studie:
Repräsentation der Verfassungsorgane (Reichspräsident/Bundespräsident; Reichskanzler/
Bundeskanzler; Reichstag/ Bundestag).
Kommunikation als politische Bildung (Reichszentrale für Heimatdienst/Bundeszentrale für politische Bildung; Reichspresseamt/ Bundespressamt)
Staatssymbolik, Zeremoniell, Protokoll
Biographische Pfade von Weimar nach Bonn (Marie Elisabeth Lüders, Paul Löbe, Hermann Ehlers, Otto Lenz)Das Projekt versteht sich somit als zeithistorischer Beitrag zu einer ,Kulturgeschichte des Politischen‘ (Barbara Stollberg-Rilinger).
Prof. Dr. Edith Raim
Justiz zwischen Diktatur und Demokratie. Der Wiederaufbau der Justiz in den Westzonen unter alliierter Aufsicht und die Ahndung von NS-Verbrechen 1945-1949/50
(Universität Augsburg, Vorsitz des Mentorats: Gassert)
Obwohl sich die Geschichtswissenschaft über Jahrzehnte intensiv mit der alliierten Besatzungsherrschaft von 1945 bis 1949 beschäftigt hat, gibt es überraschenderweise dennoch unbearbeitete Themen. Dazu gehört auch die Geschichte des Wiederaufbaus der deutschen Justiz in den Westzonen und ihre Ahndung der NS-Verbrechen. Tatsächlich haben Forscher immer wieder versucht, sich diesem Gegenstand zu nähern, mußten jedoch an der abschreckenden Quellensituation scheitern. Die einschlägige Überlieferung bei Länderjustizministerien, Generalstaatsanwaltschaften oder Oberlandesgerichten ist vielfach außerordentlich dürftig, teils auch inexistent. Einen lebhaften Eindruck dieses Mangels gab bereits der erste nordrheinwestfälische Justizminister, der bekannte, sein ganzes Ministerium habe in seine Aktentasche gepaßt. Warum sollte es nun ausgerechnet den Projektbearbeitern im Institut für Zeitgeschichte bei der Suche nach Quellen anders gehen?
Dank der großzügigen Förderung des Projekts durch das Auswärtige Amt konnte die sogenannte Gegenüberlieferung in großem Maße erschlossen werden. In den Archiven der westlichen Alliierten sind reichliche, bisher für die deutsche Justizgeschichte völlig ungenutzte Aktensammlungen vorhanden. Für die Rekonstruktion der Neuanfänge der Justiz in Westdeutschland wurde daher auf die Unterlagen der westlichen Alliierten zurückgegriffen, die sich in den National Archives in den USA und in Großbritannien sowie in den Archives de l’Occupation Française en Allemagne et en Autriche in Colmar befinden.
Jede westliche Militärregierung hatte eine Rechtsabteilung und bei jeder dieser Rechtsabteilungen gab es ein Referat, das sich nur mit der deutschen Justiz befaßte. Angehörige dieser Einheiten führten Inspektionsreisen zu den deutschen Gerichten durch und legten ihre Eindrücke in teils überaus detaillierten Berichten nieder, die es ermöglichen, die Ausgangssituation der deutschen Justiz zu skizzieren. Gleichzeitig sind diese Rapporte interessante Dokumente der interkulturellen Kommunikation wie des immateriellen Kulturtransfers hinsichtlich alliierter Rechtskonzeptionen.
Der Aufbau eines funktionierenden deutschen Rechtswesens stellte eine große Herausforderung sowohl für die deutsche Justizverwaltung als auch die westlichen Alliierten dar. Die westlichen Alliierten sahen sich dem Problem gegenübergestellt, daß einerseits nach der Willkürjustiz des Dritten Reichs die Kontrolle der deutschen Justizbehörden bitter nötig schien, anderseits zum Aufbau eines Rechtsstaats die Unabhängigkeit der Justiz respektiert werden mußte.
Nach der Schließung der deutschen Gerichte bei Kriegsende durch die Alliierten und der Abschaffung diverser NS-Gerichte nahmen bereits im Sommer 1945 die ersten deutschen Amts- und Landgerichte ihre Tätigkeit wieder auf. Die materiellen Bedingungen des Wiederaufbaus für die Justiz spotteten oft jeder Beschreibung, so daß Gerichte buchstäblich in den Trümmern hausten. Das größte Problem aber stellte das deutsche Justizpersonal dar, das durch die Beteiligung an der Willkürjustiz des Nationalsozialismus jenseits aller Rehabilitierung kompromittiert war. Obwohl Amerikaner, Briten und Franzosen einer mehr oder weniger identischen Personalsituation gegenüberstanden, war ihr Umgang mit der deutschen Justizverwaltung doch sehr unterschiedlich. Die Amerikaner waren zumindest anfangs am unerbittlichsten, was die Entnazifizierung anging und holte vielfach bereits vor 1933 aus Altersgründen pensionierte Staatsanwälte und Richter in den Dienst zurück, so daß die Justizverwaltung in Teilen einem Seniorenheim glich. Die strenge amerikanische Entnazifizierungspolitik stieß allerdings an ihre Grenzen, als kaum mehr unbelastete Staatsanwälte und Richter gefunden werden konnten, gleichzeitig aber eine Vielzahl von Fällen abgeurteilt werden sollte. Die Briten und Franzosen waren dagegen deutlich weniger ehreizig in ihren Säubungsbestrebungen und beschränkten sich darauf, zuverlässige Personen in Führungspositionen zu holen.
Ein Problemkomplex, der die alliierten Militärgerichte und die deutsche ordentliche Justiz in vieler Hinsicht einte, war die Ahndung von NS-Verbrechen. Vor den Gerichten der Alliierten wurden die völkerrechtlich relevanten Straftaten verhandelt, die von Deutschen an alliierten Opfern begangen worden waren, also insbesondere während des Krieges. Für die Verbrechen, die von Deutschen an anderen Deutschen bzw. Staatenlosen verübt worden waren, sollten deutsche Gerichte zuständig sein. Doch auch hier unterschieden sich die westlichen Alliierten in ihrem Vorgehen. Während die britische und die französische Besatzungsmacht den deutschen Gerichten erlaubte, das Kontrollratsgesetz Nr. 10 anzuwenden, in dem u. a. der Straftatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit festgelegt war, beschloß die amerikanische Militärregierung, die deutschen Juristen dazu nicht zu ermächtigen, so daß in der amerikanischen Zone lediglich das Strafgesetzbuch zur Anwendung kam. Diese unterschiedliche Handhabung des Kontrollratsgesetzes Nr. 10 führte zu großen Differenzen in der Strafverfolgung zwischen den Zonen und zu lebhaften juristischen Kontroversen. Die strafrechtliche Aufarbeitung des Nationalsozialismus stellte die deutsche Justiz vor bislang unbekannte Fragen, von denen wohl die schwierigste war, ob und wie das Unrecht des Dritten Reiches mit den Mitteln des Rechtsstaates geahndet werden konnte.
Nie wieder sollte soviel ermittelt werden wie in den Jahren der Besatzungsherrschaft, da jede der in Westdeutschland existierenden Staatsanwaltschaften mit der Aufklärung von NS-Verbrechen befaßt war. Allein in den Zeitraum 1945 bis 1949 fallen über 13.000 eingeleitete Ermittlungsverfahren und Prozesse, die dank der am IfZ entstandenen Datenbank erstmals vollständig erfaßt wurden. Westdeutschland ist häufig der Vorwurf einer verspäteten Auseinandersetzung mit den Verbrechen des Nationalsozialismus gemacht worden. Diese Kritik kann allerdings nur derjenige erheben, der die frühen Ahndungsbestrebungen ignoriert. Gerade weil es diese Vielzahl früher Prozesse gab, konnte sich die (irrige) Vorstellung breit machen, es sei – von alliierter und deutscher Seite – bereits alles aufgeklärt.
Der norwegische Sozialwissenschaftler Jon Elster, der sich mit den Merkmalen der sogenannten transitionalen oder Übergangsjustiz beschäftigt hat, definiert als ihre herausragenden Charakteristika Gerichtsverfahren, Säuberungen und Reparationen. Für einen kurzen Moment in der Geschichte, als es das Dritte Reich nicht mehr und die Bundesrepublik noch nicht gab, fand all dies gleichzeitig in Deutschland statt: die strafrechtlichen Prozesse vor dem Internationalen Militärgerichtshof, den Militärtribunalen der Alliierten in ihren Zonen und den deutschen Gerichten, Entnazifizierung, sowie der Beginn von Restitution und Entschädigung. Es ist vielleicht eine Ironie der Geschichte, daß von all diesen erwähnten Mitteln zur „Vergangenheitsbewältigung” es gerade die deutschen NS-Prozesse jener Jahre sind, die am stärksten in Vergessenheit geraten sind.