Schwerpunkte der Forschung

  • Geschichte des Widerstands gegen den Nationalsozialismus
  • Erinnerungs­kultur und Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit
  • Geschichte des Protests und der Protestbewegungen
  • Die Nuklearkrise der 1980er Jahre
  • Konsumgeschichte des 20. Jahrhunderts
  • Politische Geschichte von Baden-Württemberg
  • Juristische Zeitgeschichte
  • Migration und Einwanderungs­gesellschaft im Südwesten
  • Kulturen der Nachrichtendienste
  • Transatlantische Beziehungen, US-Außen­politik und Geschichte der US-Militärpräsenz in Deutschland
  • Zwischen Exzellenz und Expansion: Südwestdeutsche Wissenschafts­politik von 1978 bis heute

    In dem vom Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg (MWK) geförderten Forschungs­projekt geht es um die Geschichte der Wissenschafts­politik in Baden-Württemberg von 1978 bis heute. Während die bundes­deutsche Bildungs- und Wissenschafts­politik für die Ära der hochschul­politischen Aufbrüche der 1960er und frühen 1970er Jahre gut aufgearbeitet ist, fehlen für die Zeit danach quellen­basierte, zeithistorische Studien.

    Der Lehr­stuhl für Zeitgeschichte der Universität Mannheim unter der Leitung von Prof. Dr. Philipp Gassert greift in diesem Projekt das Forschungs­desiderat auf und strebt einerseits eine Gesamtdarstellung der baden-württembergischen Wissenschafts­politik in ihrem nationalen und internationalen Kontext an. Andererseits sollen anhand zweier Fall­studien die Gründungs­geschichte des MWK sowie die zweite Reformära der 1990er Jahre vertieft erforscht werden, als es um die Ausdifferenzierung des Wissenschafts­systems sowie den Übergang zur Hochschul­autonomie ging.

    Für Baden-Württemberg ergibt sich als zentrale Spannung von Wissenschafts­politik der Spagat zwischen einem verbesserten Zugang zu tertiärer Bildung im Interesse der Chancengleichheit – „Bildung als Bürgerrecht“ ist hier das Stichwort von Ralph Dahrendorf – bei gleichzeitiger Förderung von Spitzenforschung. Im Südwesten verband sich damit traditionell der Anspruch, „Forschungs­primus“ in der BRD zu sein.

    Angesichts begrenzter Ressourcen in den 1980er und 1990er Jahren entschied sich Baden-Württemberg für eine „Flaggschiffpolitik“ bei gleichzeitiger starker Ausdifferenzierung des Hochschul­systems – von „Voll­universitäten“ bis zu Berufsakademien. Hierbei wurde eine Politik der Profilbildung verfolgt, die in den 1990er und 2000er Jahren politische Widerstände hervorrief, sich jedoch in den Exzellenz­initiativen bewährte.

    Ansprech­partner:
    Kommission für geschichtliche Landes­kunde in Baden-Württemberg und Lehr­stuhl für Zeitgeschichte der Universität Mannheim.

    Projekt-Mitwirkende:

    Prof. Dr. Philipp Gassert (Projektleiter)

    David Brechbilder

    Joshua Haberkern


Aktueller Semesterplan

Hier finden Sie den Semesterplan für das FSS 2023 Veranstaltungen des Lehr­stuhls und des HI betreffend.


Laufende Promotions­projekte

  • Eva Beckershoff

    Die Dritte-Welt-Bewegung in Frankreich im Kontext des Kalten Krieges (Betreuer: Gassert)

  • David Brechbilder

    David Brechbilder, M.A.

    David Brechbilder, M.A.

    Wissenschaft­licher Mitarbeiter
    Universität Mannheim
    Historisches Institut
    Lehr­stuhl für Zeitgeschichte
    L 7, 7 – Raum 208
    68161 Mannheim

    Die Anfangsjahre des Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst im Rahmen der baden-württembergischen Wissenschafts­politik

    Betreuer: Prof. Dr. Philipp Gassert

    Der April 1978 stellt einen Zäsurpunkt in der baden-württembergischen Kultuspolitik dar. Das bisher einheitlich geführte Ressort wurde aufgeteilt in das Ministerium für Kultus und Sport zum einen, und zum anderen in das – damals noch – Ministerium für Wissenschaft und Kunst (MWK). Dies geschah in einer, nicht nur für den deutschen Südwesten, bewegten Zeit. Ölkrise und Rezession hatte das bundes­republikanische Selbstbewusstsein nach Neubeginn und „Wirtschafts­wunder“ empfindlich erschüttert. Dar­unter litt auch die Bildungs- und Hochschul­politik, die sich noch in einer – bereits in den 1960er Jahren begonnenen – Reformations- und Umbruchs­phase befand. Der bis 1978 amtierende Ministerpräsident des Landes, Hans Filbinger, stürzte schließlich über ein düsteres Kapitel seiner persönlichen Vergangenheit. Die CDU selbst erwies sich allerdings in Baden-Württemberg als sattelfest. Lothar Späth trat mit reichlich Elan und viel Gespür für das Öffentliche die Nachfolge an. Sein Ziel: Baden-Württemberg sollte mit „Zukunfts­technologien“ zur nationalen wie auch internationalen Spitze gehören und durch Investitionen in Innovationen einem vermeintlichen Zurückfallen entgegenwirken. Bildung und Wissenschaft gerieten somit als traditionelle Länder­sache in den Fokus einer landes­politischen Agenda.

    Hier beginnt also die Geschichte des MWK. Folgende fünf Fragen sind bisher leitgebend für das hier vorgestellte Promotions­vorhaben, welches als Teil des Forschungs­projekt „Zwischen Exzellenz und Expansion: Südwestdeutsche Wissenschafts­politik von 1978 bis heute“ – unter der Leitung des Lehr­stuhl­inhabers Philipp Gassert – vom Ministerium selbst gefördert wird:

    1. Welche Überlegungen, Versprechungen oder Ideen führten 1978 zur Ressortspaltung? Hierbei sei angemerkt, dass es sich bei dieser Kompetenzaufteilung weder partei- noch landes­politisch um einen baden-württembergischen Sonderweg handelte.
    2. Wie gestaltete sich staatlich-institutionelle wie auch landes­politisch die behördliche Umstrukturierung?
    3. Welche Konflikte und Konsequenzen ergaben sich aus Ressortspaltung? So war bspw. der bis April 1978 amtierende Kultus­minister Wilhelm Hahn ein vehementer Gegner der Aufteilung, aber eben auch ein parteiinterne Konkurrent Filbingers.
    4. In welcher Art und Weise gestaltete sich die Arbeit des MWK in seiner Anfangszeit, die in diesem Projekt die Entwicklungen bis Anfang der 1990er miteinschließt?
    5. Und hier anknüpfend: Welche Rolle spielte das Ministerium konkret in der Späth’schen Innovations­agenda? Kritische Stimmen attestieren dem MWK in der Forschungs- und Technologiepolitik des Landes eine untergeordnete Rolle gegenüber Ministerpräsident Späth selbst und dem Staats­ministerium.

    Das Promotions­vorhaben befindet sich noch in einer frühen Phase. Momentan wird für das Gesamtforschungs­projekt ein umfangreicher Quellen- und Literatur­korpus erstellt. Als ein weiterer, besonders wichtiger Schritt gilt die intensive Sichtung der Unterlagen des Kultus­ministeriums in der konzeptionellen Vorlaufszeit, und des MWK ab 1978. Diese Bestände befinden sich im Hauptstaats­archiv in Stuttgart.

    Zur Person

    David Brechbilder ist seit September 2023 wissenschaft­licher Mitarbeiter und Lehr­beauftragter am Lehr­stuhl für Zeitgeschichte. Im Rahmen des dort angesiedelten Forschungs­projekts „Zwischen Exzellenz und Expansion: Südwestdeutsche Wissenschafts­politik von 1978 bis heute“ promoviert er zur Gründungs­geschichte des Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg. Des Weiteren ist er seit Oktober 2023 freier Mitarbeiter des Friedrich-Engelhorn-Archivs in Mannheim.

    Zuvor studierte er Geschichte und Soziologie in Mannheim, und war bis 2022 wissenschaft­liche Hilfskraft am Lehr­stuhl für Neuere und Neueste Geschichte und des Universitäts­archivs, und 2016 Tutor des Projektes „Mannheim Siebzehneinhalb“, am Lehr­stuhl für Spätmittelalter und Frühe Neuzeit.

    Der gebürtige Würzburger bezeichnet sich selbst gerne als „Spätberufener“. 2014 erwarb der gelernte Masseur und medizinische Bademeister aus Leidenschaft zur Geschichte am Staatlichen Kolleg Mannheim die allgemeine Hochschul­reife über den zweiten Bildungs­weg. So fand er in der Stadt eine neue Heimat und in der Universität schließlich seine Alma Mater.

    Zu seinen Forschungs­schwerpunkten zählt u.a. die deutsche Zeitgeschichte generell, die baden-württembergische Landes­geschichte, die der Wissenschafts- und Hochschul­politik, sowie die Mannheimer Stadt- und Universitäts­geschichte.

    Publikationen

    • Als die Studenten das Schwimmen lernten: Die frühen Tutoren­programme der Fakultät für Betriebs­wirtschafts­lehre, in: Angela Borgstedt/Sandra Eichfelder/Philipp Gassert (Hrsg.), Ein Universität der Gesellschaft: 75 Jahre Neubegründung Wirtschafts­hochschule und Universität Mannheim, Ubstadt-Weiher/Heidelberg/Stuttgart/Speyer/Basel 2021.
    • Viktor Darmstädter (1858-1923) – Gründer des Mannheimer Verkehrs­vereins, in: Wilhelm Kreutz/Volker von Offenberg (Hrsg.), Jüdische Schüler des Vereinigten Großherzoglichen Lyzeums-Karl-Friedrich-Gymnasiums Mannheim (Bd. 2), Mannheim 2014.
  • Jonas Brosig

    Jonas Brosig

    Jonas Brosig

    Doktorand
    Universität Mannheim
    Lehr­stuhl für Zeitgeschichte
    L 7, 7
    Historisches Institut, L7, 7 – Raum 206
    68161 Mannheim
    Sprechstunde:
    nach Vereinbarung per E-Mail

    Revolution der Gestörten, Irre am Gewehr? Die Psychopathologisierung des Terrorismus im langen roten Jahrzehnt

    Förderung: Gerda Henkel Stiftung  (bis 11/23); Landes­graduierten­förderung (seit 12/23)

    Betreuer: Prof. Dr. Philipp Gassert

    „Wäre doch sehr peinlich, wenn sich herausstellte, dass alle diese Leute einer Verrückten nachgelaufen sind.“[1] Mit diesen Worten soll ein Oberstaats­anwalt der Bundes­anwaltschaft 1973 eine zwangs­weise Hirnszintigrafie Ulrike Meinhofs begründet haben. Im Jahr zuvor hatte bereits der Stern in diese Kerbe geschlagen und eine Röntgenaufnahme von Meinhofs Schädel veröffentlicht, die 1962 im Zuge einer Hirnoperation entstanden war. Unter der Schlagzeile „Der Tumor im Gehirn der Meinhof“[2] hatte das Magazin die so bezeichnete Stelle mit einem schwarzen Pfeil versehen. Zwar war der Tumor in Wirklichkeit ein Blutschwamm, jedoch hätte solche Differenzierung die Implikation der Story zunichte gemacht: Dem Gewalthandeln der vormals ehrbaren Journalistin sollte ein Hirnschaden zugrunde liegen.

    Das Promotions­projekt befasst sich mit psychopathologisierenden Deutungs­entwürfen des Terrorismusim „langen“ roten Jahrzehnt. Der analytische Begriff der Psychopathologisierung bezeichnet dabei sprachlich heterogen realisierte Erklärungs­angebote, die den linken Terrorismus auf vermeintlich a priori vorhandene psychische Merkmale der Akteur:innen zurückführten. Diese seriell (re-)artikulierten Konzepte bildeten Funktions­elemente eines kollektiven kommunikativen Zusammenhanges (Diskurs), die nicht erst mit dem studentisch-linksalternativen „Psycho-Boom“[3] in den politischen Sprachgebrauch Einzug hielten; als Labels für linke Devianz reflektierten sie auch hygienisch-biologistische Denkfiguren des späten 19. Jahrhunderts (G. Le Bon, C. Lombroso), die nach 1945 u. a. in der psychiatrisch-juristisch dominierten Kriminologie fortbestehen konnten. In diesen Kontinuitäten erscheint der „Wahnsinn“ als ereignisgeschichtliche Zäsuren überdauernder, „moderner“ Topos zur wirksamen virtuellen Strukturierung der erlebten Welt.

    Zur Person

    Jonas Brosig war vom HWS 2019/20 ausgehend zwei Semester lang wissenschaft­licher Mitarbeiter am Lehr­stuhl für Zeitgeschichte. Zuvor studierte er Geschichte, Germanistik und Latinistik in Mannheim, Heidelberg und Mykolajiw. Ab 2013 war er Hilfskraft am Lehr­stuhl für Neuere und Neueste Geschichte II (Prof. Peter Steinbach), seit 2014 am Lehr­stuhl für Zeitgeschichte (Prof. Philipp Gassert). Hier unterrichtete er verschiedene Tutorien zu Seminaren der jüngeren deutschen Geschichte. Im HWS 2018 begleitete er das Master-Lektüreseminar “Karl Marx: Das Kapital”. Im Rahmen von Praktika arbeitete er an der Hamburger Stiftung zur Förderung von Wissenschaft und Kultur, am Deutschen Historischen Institut London sowie am Goethe-Institut in Kiew. Jonas Brosig ist Vorsitzender des Fördervereins des Historischen Instituts und des Antikensaals an der Universität Mannheim e. V.

    Vorträge

    „Revolutionäre in Roben? Der 'Linksanwalt' als Teil eines gesellschaft­lichen Bedrohungs­szenarios der 1970er Jahre“ (gehalten im Rahmen der Tagung „Organe der Rechts­pflege – Organe der Revolution? 'Linksanwälte' im Lichte von APO und sozialrevolutionärem Terrorismus seit den späten 1960er Jahren in der Bundes­republik, Mannheim, 02.06.2022)

    „Jugend in Gefahr! Gesellschaft in Gefahr? Moral Panics in den 1960er und 1970er Jahren am Beispiel von Quick und Stern" (gehalten im Kolloquium des Lehr­stuhls für Zeitgeschichte der Universität Mannheim, Mannheim, 23.02.2022)

    „Psycho-pathologisierende Deutungs­muster linker Devianz im Zuge der '68er'-Bewegung als historisch-diskursive Voraussetzungen des Radikalenerlasses“ (gehalten auf einer Tagung des Lehr­stuhls für Zeitgeschichte an der Universität Heidelberg, Heidelberg, 28.09.2020)

    Publikationen

    Jonas Brosig, Tagungs­bericht: Der politische Strafprozess. Eine Spurensuche, in: JoJZG 17:3 (2023), S. 111–115.

    Jonas Brosig, Caren Stegelmann, Leonard Wolckenhaar, Tagungs­bericht: Konjunkturen des Staats­schutzes. Die Justiz und der Schutz von Republik und Verfassung (1922 – 1972 – 2022), in: H-Soz-Kult, 02.06.2023, www.hsozkult.de/conferencereport/id/fdkn-136419, letzter Zugriff: 02.06.2023.

    Jonas Brosig, Art. „Horst Mahler“, in: Groenewold/Ignor/Koch (Hrsg.), Lexikon der politischen Strafprozesse, https://www.lexikon-der-politischen-strafprozesse.de/glossar/mahler-horst/, letzter Zugriff: 26.06.2022.

    Jonas Brosig, Art. „Sozialistisches Patientenkollektiv“, in: Groenewold/Ignor/Koch (Hrsg.), Lexikon der politischen Strafprozesse, https://www.lexikon-der-politischen-strafprozesse.de/glossar/huber-ursula-und-wolfgang/, letzter Zugriff: 22.01.2021.

    Jonas Brosig, Rezension v. Eric Hobsbawm, Das kurze 20. Jahrhundert, Darmstadt 2019, in: ZEITARBEIT 2 (2020), S. 173–175.

    Jonas Brosig, Rezension v. Sylvia Schraut, Terrorismus und politische Gewalt (Einführung in die Geschichts­wissenschaften. Neuere und Neueste Geschichte 1), Göttingen 2018, in: ZEITARBEIT 2 (2020), S. 203–205.

    Tagungs­organisation

    „Organe der Rechts­pflege – Organe der Revolution? 'Linksanwälte' im Lichte von APO und sozialrevolutionärem Terrorismus der späten 1960er und 1970er Jahre in der Bundes­republik“ (1.–3. Juni 2022, Mannheim)

    Tagungs­programm

    Berichte auf H-Soz-Kult sowie im Anwaltsblatt.

    Lehre

    Übung: „Sex, Drogen und Gewalt? Alternative (Jugend)Milieus in der Bundes­republik der 1970er Jahre“ (HWS 2022)

    Übung: „Die Geschichte des deutschen Rechts­extremismus nach 1945“ (FSS 2022)

    Proseminar: „Terrorismus und politische Gewalt“ (FSS 2020)

    Proseminar: „Die Geschichte der Roten Armee Fraktion“ (HWS 2019/20)

    Master-Lektüreseminar: „Karl Marx: Das Kapital“ (HWS 2018, gemeinsam mit Prof. Dr. Philipp Gassert)

    Tutorium zum Proseminar: „Die deutsche Revolution 1918/19“ (HWS 2015, en bloc)

    Tutorium zum Poseminar: „Der lange Schatten der Vergangenheit. Die Bundes­republik und der Umgang mit NS-Prozessen nach 1945“ (FSS 2015)

    Tutorium zum Proseminar: „Von der sowjetischen Besatzungs­zone bis zum Beitritt zur Bundes­republik: Die DDR von 1945/49 bis 1989/90“ (FSS 2014)

    Tutorium zum Proseminar: „Widerstand gegen den Nationalsozialismus“ (HWS 2013)

    Tutorium zum Proseminar: „Das Attentat in der Geschichte“ (HWS 2012)


    [1] Zitiert nach: Internationales Komitee zur Verteidigung politischer Gefangener in West-Europa, Anklage wegen des Todes von Ulrike Meinhof, 19.03.1977, S. 82. Siehe auch: Willi Winkler, Vor zwanzig Jahren nahm sich Ulrike Meinhof das Leben, in: DIE ZEIT 20 (1996). URL: https://www.zeit.de/1996/20/meinhof.txt.19960510.xml (letzter Zugriff 10.02.2020); Heinrich Hannover, Stammheimer Geheimnisse, in: Ossietzky 24 (2002). URL: https://www.sopos.org/aufsaetze/3e11dedb0e877/1.phtml.html (letzter Zugriff: 10.02.2020).

    [2] N. N., Der Tumor im Gehirn der Meinhof, in: STERN Nr. 26 vom 18.06.1972, S. 20f. 

    [3] Wilfried Rasch, Ursachen des Terrorismus. Die forensisch-psychiatrische Perspektive, in: Geistig-politische Auseinandersetzungen mit dem Terrorismus. Protokoll einer Modelltagung, veranstaltet vom Arbeits­stab „Öffentlichkeits­arbeit gegen Terrorismus“ im Bundes­ministerium des Innern, Bonn 1979, S. 55.

  • Joshua Haberkern

    Joshua Haberkern, M.A.

    Joshua Haberkern, M.A.

    Doktorand
    Universität Mannheim
    Historisches Institut
    Lehr­stuhl für Zeitgeschichte
    L 7, 7 – Raum 208
    68161 Mannheim
    Sprechstunde:
    nach Vereinbarung

    Eine neoliberale Wende? Die Wissenschafts- und Hochschul­politik in Baden-Württemberg zwischen den 1980er und 2000er Jahren

    (Betreuer: Gassert)

    Die massive Hochschul­expansion der 1960er und 1970er Jahre mitsamt einer Multiplizierung der Studierenden­zahlen machte eine tiefgreifende Reform der bundes­deutschen Universitäts­landschaft unumgänglich, allein ihre Ausgestaltung blieb zeitgenössisch wie retrospektiv höchst umstritten. Dieses Promotions­vorhaben hat das Ziel, durch akteurszentrierte wie netzwerk- und systemtheoretische Zugänge den komplexen Aushandlungs­prozess dieser Reform von den späten 1980er Jahren bis in die frühen 2000er nachzuverfolgen, an dessen Ende sich mit dem Bologna-Prozess sowie der Exzellenz-Initiative zwei Herolde eines neuen universitären Zeitalters ankündigten. Dass diese hochschul­politische Wende bisher mit Begriffen wie der „Ökonomisierung“ bzw. der „Neoliberalisierung“ der Universitäts­landschaft umschrieben wurden, kommt nicht von ungefähr: Drittmittel-Abhängigkeiten, interne wie externe Wettbewerbsparadigmen, universitäre Schwerpunktbildung und Profilierung sowie die vermeintliche innere Transformation zur „Service-Universität“ prägten ein Umfeld des Bildungs­utilitarismus, in dem der Wert der Institution Universität anhand ihrer Rentabilität sowie ihrer Nützlichkeit gemessen wird.

    Als Fallbeispiel dient der Promotion die Wissenschafts­politik des Landes Baden-Württemberg beziehungs­weise seines Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst. Gemeinsam mit den diversen sonstigen Akteuren der Bildungs­landschaft – etwa der Landes­rektorenkonferenz, der Westdeutschen bzw. später gesamtdeutschen Hochschul­rektorenkonferenz und nicht zuletzt den zwischen freiheitsstiftenden Globalhaushalten und einengender Bürokratisierung um ihre Autonomie lavierenden Universitäten – bildete das Ministerium die Schaltzentrale einer Reform, deren Beschaffenheit, Ausmaße und Auswüchse vielmehr das Ergebnis eines Aushandlungs­prozesses als einer geplanten Transformation waren. Nicht zuletzt waren es die „Stakeholder“ der Universität – Professoren, Studierende, Verwaltung oder auch die zumeist medial vermittelte Öffentlichkeit – die mit ihren Gegenwartsbeschreibungen zu einer ungeordneten, bisweilen chaotischen, jedoch stets krisenhaften Polyphonie beitrugen.

    Als zentrale Quellen dienen der Promotion vorwiegend die Bestände des MWKs im Hauptstaats­archiv in Stuttgart, ergänzt durch exemplarische Fall­studien anhand der Bestände ausgewählter Universitäts­archive.

    Informationen auf der Seite des BMWK.

    Zur Person

    Joshua Haberkern ist Doktorand am Lehr­stuhl für Zeitgeschichte und seit August 2023 Wissenschaft­licher Mitarbeiter im Forschungs­projekt „Zwischen Exzellenz und Expansion: Südwestdeutsche Wissenschafts­politik von 1978 bis heute“, welches vom Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg gefördert wird.

    Zuvor studierte er Geschichte, BWL und Ethnologie in Heidelberg, Mannheim und Prag. Seit 2019 ist er am Lehr­stuhl für Zeitgeschichte beschäftigt: Zunächst als studentische Hilfskraft und Tutor im Fach Intercultural Studies, später als Wissenschaft­licher Mitarbeiter und Lehr­person in verschiedenen Proseminaren.

    Im FSS 2024 begleitet er das Hauptseminar „Forschungs­primus? Hochschulen und Wissenschaft in Baden-Württemberg seit den 1960er Jahren“

  • Doreen Kelimes

    Die Kriegsgefangenen in Mannheim, 1914-1921

    (Betreuer: Gassert, Nieß)

  • Anne Kremer

    Anne Kremer, M.A.

    Anne Kremer, M.A.

    Doktorandin
    E-Mail: ankremer[at]mail.uni-mannheim.de
    Universität Mannheim
    Lehr­stuhl für Zeitgeschichte
    L 7, 7
    Historisches Institut – Raum 206
    68161 Mannheim
    Sprechstunde:
    nach Vereinbarung.

    Gleichberechtigung und Metallgewerkschaften. Deutsch-deutsche Transformationen der Geschlechterordnungen

    Gefördert von der Friedrich-Ebert-Stiftung (Promotions­programm: Erforschung der Sozialen Demokratie(n) und ihrer Bewegungen. Historischer Wandel, gegenwärtige Effekte und Perspektiven für die Zukunft)

    Betreuer: Prof. Dr. Philipp Gassert

    Das Dissertations­projekt befasst sich mit gewerkschaft­lichen Konzepten über die Gleichberechtigung der Geschlechter und deren Möglichkeiten und Grenzen im Transformations­prozess der deutschen Wiedervereinigung. Es geht der Fragestellung nach, welche Aus­wirkungen, Herausforderungen und damit potenzielle Neu-Aushandlungen der Geschlechterordnungen der Umbruch 1989/90 für die Metallgewerkschafter*innen mit sich brachte. Dies wird für die vereinigte IG Metall, vor dem Hintergrund der geteilten Vorgeschichte in beiden deutschen Staaten, unter anderem anhand von Themen wie Berufs­tätigkeit und Bildung, Bezahlung und Sozialleistungen, Kinderbetreuung und Reproduktions­arbeit, Sexualität und Gewalt sowie Frauen­förderung, Gleichstellungs­politik und institutionelle Partizipation analysiert.

    Damit nimmt das Projekt drei Spannungs­felder in den Blick: Zum einen untersucht es Diskrepanzen und Konkurrenzen zwischen Ost und West sowie einen möglichen doppelten Transformations­prozess in der Selbstverständigung über Gleichberechtigung und Geschlechterordnungen. Zum anderen scheinen neben möglichen ‚Ko-Transformationen‘ auch ‚Ko-Kontinuitäten‘ in Form von gesamtdeutsch geteilten Konflikte zwischen spezifischen ‚traditionellen‘ und ‚modernen‘ Selbstverständnissen als wahrscheinlich. Und drittens erscheinen auch Widersprüche zwischen den ideologischen Gleichheitsforderungen der Gewerkschaft und gesamt­gesellschaft­lich prägenden Geschlechterhegemonien als relevant.

    Zentrale Quellen, die Aufschlüsse über entsprechende Diskurse und Praktiken der Metallgewerkschafter*innen geben, sind die Bestände der IG Metall und des DGB im AdsD sowie des FDGB im BArch.

    Das Promotions­vorhaben kann so einen Beitrag zur deutsch-deutschen Geschlechtergeschichte der Gewerkschaften im Transformations­prozess der 1990er Jahre leisten. Es trägt nicht nur zur Historisierung einer für die Ordnung von Arbeits­welt und Gesellschaft bedeutsamen Kategorie bei, sondern letztlich auch zur überfälligen Debatte über dreißig Jahre deutsche Gewerkschafts­einheit.

    Zur Person

    Anne Kremer ist Doktorandin am Lehr­stuhl für Zeitgeschichte.
    Sie studierte Geschichte und BWL im Studien­gang Kultur und Wirtschaft an der Universität Mannheim. Während des Studiums war sie als wissenschaft­liche Hilfskraft am Lehr­stuhl für Zeitgeschichte tätig und absolvierte Praktika in Museum, Stadtmarketing und Ausstellungs­redaktion. Nach dem Studium arbeitete sie am Lehr­stuhl von 2018 bis 2020 als wissenschaft­liche Mitarbeiterin in Forschung und Lehre sowie der Veranstaltungs­organisation.
    Seit Herbst 2020 ist Anne Kremer Promotions­stipendiatin der Friedrich-Ebert-Stiftung.

    Forschungs­schwerpunkte: Geschlechtergeschichte, Gewerkschafts­geschichte, deutsch-deutsche Zeitgeschichte

    Publikationen

    • „Schutz den jungen Händen gegen die Ausbeutung! Schutz den jungen Köpfen gegen die Verdummung!“. Die frühe Arbeiterjugendbewegung, in: Philipp Gassert/Ulrich Nieß/Richard Rohrmoser (Hg.), Jugendprotest und Jugendkulturen im 20. Jahrhundert. Über 100 Jahre bewegte Jugend in Mannheim, Mannheim 2017, S. 38–48.
    • „Die Memelländer nach Kräften zu unterstützen“ – Das Mannheimer Memellandbüro, in: Mannheimer Geschichtsblätter 34/2017, S. 100–110.
    • Rezension: Kurt Thomas Schmitz, Die IG Metall nach dem Boom. Herausforderungen und strategische Reaktionen, Bonn 2020, in: sehepunkte 21/2021, Nr. 5 (15.05.2021), URL: http://www.sehepunkte.de/2021/05/34683.html.
    • Tagungs­bericht: Gender Pay Gap – vom Wert und Unwert von Arbeit. Neue Perspektiven auf die Gewerkschafts­geschichte VIII, 22.04.2021 – 23.04.2021 digital (Bonn), in: H-Soz-Kult (06.07.2021), URL: www.hsozkult.de/conferencereport/id/tagungs­berichte-8989.
    • Transformierte Geschlechterpolitiken in der »Gewerkschafts­einheit«? Betriebliche Frauen­förderung und die vereinigte IG Metall, in: Marcus Böick/Constantin Goschler/Ralph Jessen (Hg.), Jahrbuch Deutsche Einheit 2022, Berlin 2022, S. 183–196.
    • mit Anna Strommenger, Tagungs­bericht: Arbeit/Zeit. Umkämpfte Beziehungen und umstrittene Deutungen im 19. und 20. Jahrhundert, 03.11.2022 – 05.11.2022 (Hamburg), in: H-Soz-Kult (14.03.2023), URL: www.hsozkult.de/conferencereport/id/fdkn-134426

    Lehre

    • Erinnerungen an das Mannheimer Amerika: Oral History und das ZEITSTROM-Projekt (Projektseminar mit Philipp Gassert und Philipp Scherzer, FSS und HWS 2017)
    • Die DDR: Vorgeschichte, Geschichte und Erinnerung an den SED-Staat (Hauptseminar mit Philipp Gassert, FFS 2018)
    • Fleißige Hausfrauen, sanfte Väter und wilde Rocker. Die alte Bundes­republik aus geschlechterhistorischer Perspektive (Proseminar, HWS 2019)
    • Deutsche Kolonialgeschichte: Ereignisse und Erinnerungen (Schreibschule zum Hauptseminar mit Philipp Gassert und Joshua Haberkern, FSS 2020)

    Akademisches Engagement

    • Arbeits­kreis Historische Frauen- und Geschlechter­forschung 
    • Frauen & Geschichte Baden-Württemberg
    • Förderverein des Historischen Instituts der Universität Mannheim (Social Media-Koordinatorin)
    • German Labour History Association (Vorstands­mitglied)
    • Verband der Historiker und Historikerinnen Deutschlands
  • Tobias Ranker

    (Betreuer: Gassert)

    Ulm hat eine alte, in die frühe Neuzeit zurückreichende Tradition als Militärstadt. Seit der Errichtung der Bundes­festung 1815 prägten militärische Bauten auch über das gesamte 20. Jahrhundert hinweg das Stadtbild von Ulm und Neu-Ulm: Ulm zählte in der Weimarer Zeit zu den größten Standorten der nach dem Versailler Vertrag stark reduzierten Reichswehr. Es erhielt im Kontext der Aufrüstung der Wehrmacht in der NS-Zeit zahlreiche weitere Kasernenbauten, die in der Nachkriegszeit zuerst US-amerikanische Mannschaften übernahmen und dann ab 1956 zum Standort des Korpskommandos des II. Korps der Bundes­wehr wurden.

    Neu-Ulms städtischer Aufstieg begann erst mit dem Bau der Bundes­festung und war dadurch ökonomisch und gesellschaft­lich von Beginn an auf die Garnison ausgerichtet. Aufgrund der Militärbeschränkungen nach dem Ersten Weltkrieg verlor die Stadt ‚ihre’ Soldaten, wurde aber ein Jahr nach der NS-„Machtergreifung” wieder ein Militär­standort mit neuen Kasernen. Nach dem Zweiten Weltkrieg bezogen diese die amerikanischen GIs. Nach der Gründung der Bundes­wehr wurden seit 1956 erneut deutsche Einheiten in Ulmer Kasernen stationiert. Daher verlagerte sich das dortige Kontingent der US-Armee vollständig auf die Stadt Neu-Ulm, die somit bis 1991 zur US-Garnison wurde, während Ulm nun eine deutsche Garnisonsstadt war.

    Die durchgehende militärische Präsenz mit mehrfach wechselnden Armeen wirft die Frage auf, inwieweit die Garnison als städtebaulicher und ökonomischer Entwicklungs­faktor fungierte und wie Soldaten und das Militär das soziale Leben der Ulmer und Neu-Ulmer beeinflussten oder gar gestalteten. Ausgehend von der These, dass sich der Trennungs­gedanke – einerseits Militär, andererseits Bevölkerung – aufgrund der zahlreichen gewollten wie ungewollten Berührungs­punkte nicht aufrecht erhalten lässt, möchte dieses Projekt durch den Vergleich des Umgangs der Bewohner und der Stadt mit Reichswehr, Wehrmacht, US Army und Bundes­wehr Muster der zivil-militärischen Interaktion in einer Garnisonsstadt identifizieren. Einen besonderen Reiz erhält die Untersuchung auch dadurch, dass nach dem Zweiten Weltkrieg zwei unterschiedliche Armeen (US-Armee und Bundes­wehr) gleichzeitig in Ulm/Neu-Ulm stationiert waren.

    Bis heute prägen militärischen Bauten das Gesicht der beiden Städte, wor­unter die nach 1933 bzw. 1945 neu gebauten Kasernen zählen, aber v. a. auch die noch von der Bundes­wehr genutzte Bundes­festung. Hinzu kommen neben den ‚eigentlichen’ militärisch genutzten Gebäuden im engeren Sinne, noch die zivilen Unterkünfte für die zahlreichen Heeresangehörigen. Klagen über Wohnraumknappheit gab es aber nicht erst seit dem Auftauchen der Amerikaner, als ganze Stadtviertel zu housing areas erklärt wurden, sondern schon zuvor in der Wehrmachtszeit.

    Militär stellt einen wirtschaft­lichen Faktor dar. Hierbei ist die ökonomische Entwicklung Neu-Ulms interessant, da diese originär auf die Garnison und die Soldaten eingestellt war und nach dem Ersten Weltkrieg trotz des Wegfalls von 2 500 Soldaten einen kontinuierlichen Aufschwung erlebte: Die Zahl von Gewerbe und Industrie stieg an, was zeitweise sogar zu Arbeits­kräftemangel führte. Die massive Zerstörung beider Städte im Zweiten Weltkrieg führte zu einer notdürftigen zivilen Belegung der Kasernen, wor­unter sich auch Betriebe befanden. Diese wurden durch die Requirierungen der US-Armee in ein groß angelegtes Betriebs­verlagerungs­programm gezwungen, worauf aber eine raschere Erschließung eines weiteren Industriegebiets folgte, was die traditionelle Struktur Ulms als Garnisonsstadt zuvor verhindert hatte.

    Durch die endgültige Formierung der Reichswehr 1921 traten die Teile des in Ulm garnisonierten Reichsheeres z. B. durch Sport- und Turnier­veranstaltungen mit Stadt und Bevölkerung in Interaktion, was sich nach der Machtergreifung mit der Wehrmacht intensivierte und zugleich weitere Festlichkeiten und Paraden nach sich zog. Als die Ulmer/Neu-Ulmer Kasernen zu Beginn der 1950er Jahre mit US-Soldaten belegt wurden, verpflichtete die weltpolitische Lage die GIs als Repräsentanten des westlichen Systems zur Rollentransformation vom „Besatzer zum Beschützer” (Hans-Jürgen Schraut) und somit zur verordneten positiven Nachbarschaft. Die deutsche Wiederbewaffnung führte kurzzeitig zur Doppelbelegung der Kasernen, bis sich die Bundes­wehr auf Ulm und die US-Armee auf Neu-Ulm konzentrierte. Die Umstellung der Amerikaner auf eine Berufsarmee, der Vietnamkrieg, die schwarze Bürgerrechts­bewegung und der Verfall des Dollars wirkten sich auch in Deutschland aus, denn Ausschreitungen und Drogenkonsum in der Armee nahmen zu, weshalb sich die Beziehungen zur Bevölkerung abkühlten. Mit dem NATO-Doppelbeschluss erreichte die Friedensbewegung auch in den Donaustädten einen Höhepunkt, der zu Demonstrationen und Blockaden vor den US-Kasernen führte. Nach sechs Jahren wurden die Pershing-II-Raketen wieder abgezogen und der US-Standort offiziell 1991 geschlossen, womit die amerikanische Präsenz in Neu-Ulm ein Ende fand.

  • Hans-Georg Ripken

    Hans-Georg Ripken, M.A.

    Hans-Georg Ripken, M.A.

    Doktorand
    Universität Mannheim
    Lehr­stuhl für Zeitgeschichte
    Historisches Institut, L 7, 7 – Raum 207
    68161 Mannheim

    NATO-Osterweiterung in den 1990er Jahren – Eine qualitative und daten­basierte Analyse der öffentlichen Debatte in Deutschland, den USA, Polen und Russland

    Betreuer: Prof. Philipp Gassert

    In der Promotion werden Veränderungen der öffentlichen wie auch internen Debatten über die NATO-Osterweiterung in den USA, Russland, Deutschland und Polen von 1990 bis 1999 untersucht. Damit sollen Entwicklungen und Einflüsse analysiert werden, die zur ersten NATO-Osterweiterung im Jahr 1999 geführt haben. Für diese Untersuchung kommen neben klassischer Archivforschung auch Methoden der Data-Science, insbesondere die Sentiment Analyses von öffentlichen Bekanntmachungen, Pressemitteilungen und Leitmedien zum Einsatz. Mittels dieses multi-methodischen Ansatzes sollen erstmalig wesentliche Einflusslinien der unmittelbaren Ära nach dem Kalten Krieg über einen längeren Zeitraum freigelegt und beschrieben werden. Ihre Analyse soll dazu dienen, den Transformations­prozess in einer zentralen Entscheidungs­phase für Struktur und Aufbau des geeinten Europas und der neuen Sicherheitsarchitektur des Westens fundiert zu erklären und nachvollziehbar zu machen. Das Forschungs­projekt soll somit dazu beitragen, die divergierenden Narrative über den Prozess der NATO-Osterweiterung zu relativieren, und seriöse Bezugspunkte für die wissenschaft­liche und gesellschaft­liche Diskussion bereitzustellen.

    Die Dissertation wird seit August 2022 von der Konrad-Adenauer-Stiftung gefördert. Im November 2022 folgt ein Short-Term-Fellowship am Deutschen Historischen Institut in Washington.

    Zur Person

    Hans-Georg Ripken studierte Geschichte und BWL in Göttingen, Cambridge und Mannheim. Während seines Masters in Mannheim von 2019 bis 2021 arbeitete er ein Jahr am Lehr­stuhl für Zeitgeschichte als Tutor für International Cultural Studies sowie als wissenschaft­liche Hilfskraft für die Aufarbeitung der Geschichte Speyers im Nationalsozialismus. Anschließend arbeitete Hans-Georg Ripken ein Jahr als Wissenschaft­licher Mitarbeiter und war unter Anderem Lehr­person der Proseminare: „Die Deutsche Wiedervereinigung“ und „Die NATO und das Ende des Kalten Krieges“.

  • Johannes Schneider

    Die CDU/CSU in der Nachrüstungs­debatte 1979 bis 1983

    (Gefördert von der Deutschen Forschungs­gemeinschaft, DFG, Betreuer: Philipp Gassert)

    Als Teilstudie des DFG-Forschungs­projekts „Die Nuklearkrise: Politischer Protest, Populärkultur und politische Kommunikation in den 1980er Jahren“ fragt die Dissertation „Die CDU/CSU in der Nachrüstungs­debatte 1979 bis 1983“ (Arbeits­titel) nach Querverbindungen zwischen Friedensbewegung und etablierter Politik in Westdeutschland während einer von neuerlichen schweren Spannungen zwischen den Supermächten USA und UdSSR geprägten Phase des Kalten Krieges.

    Die Friedensbewegung mobilisierte weltweit Millionen Menschen, die gegen den als Reaktion auf die Dislozierung sowjetischer SS-20 Mittelstreckenraketen gefassten NATO-Doppelbeschluss und einen so ausgelösten, neuen Rüstungs­wettlauf demonstrierten. In der Bundes­republik liefen Hundertausende Sturm gegen die erklärte Regierungs­politik sowohl Helmut Schmidts als auch (ab 1982) Helmut Kohls, den Doppelbeschluss umsetzen zu wollen. Doch die Parteien gerieten nicht nur wegen des gesellschaft­lichen Widerstands in schweres Fahrwasser. Zum Richtungs­streit kam es auch zwischen Nachrüstungs­befürwortern und -gegnern innerhalb der Parteien selbst. Besonders tief gespalten war die SPD. Nicht nur aber auch deswegen zerbrach die sozialliberale Koalition; auf Bundes­kanzler Schmidt folgte Helmut Kohl sowie eine Koalition aus CDU/CSU und FDP.

    In dem Dissertations­projekt stehen drei Fragen im Mittelpunkt. Erstens ist zu klären, wie die CDU/CSU mit internem Widerspruch gegen die offizielle Parteipolitik, nämlich die Durchsetzung des NATO-Doppelbeschlusses, d.h. also die Stationierung von amerikanischen „Pershing II“ Mittelstreckenraketen und „Tomahawk“ Marschflugkörpern in Westdeutschland (und anderen westeuropäischen Staaten), umging. Anders als es der Öffentlichkeit von der Parteispitze suggeriert wurde, war auch innerhalb der Union Widerspruch vorhanden, der sich freilich nicht so offen wie bei den Sozialdemokraten Bahn brach. Die Beteiligung der Kirchen am Protest gegen die Nachrüstung und die Betonung der christlich-ethischen Dimension der Nachrüstungs­frage stürzte manchen Unionspolitiker in ein Dilemma, schließlich verstanden sich die Mitglieder als eine an den Werten der christlichen Ethik ausgerichtete Partei. Darüber hinaus handelte es sich bei diesen und anderen konservativen Demonstranten auch um die Wählerklientel der Union. Konkret heißt dies also: Welche Schlüsse hat die Parteispitze aus dem Zerbrechen der SPD gezogen, um die eigene Partei und Basis „zusammenzuhalten“? Es handelt sich um eine praktische Frage des Machterhalts, der schließlich auch den Abstimmungs­erfolg über die Nachrüstung im Bundestag am 22.11.1983 sicherstellen sollte.

    Zweitens ist zu untersuchen, ob die CDU/CSU im Laufe der Zeit nicht nur aus dem Niedergang der SPD, sondern auch von der Friedensbewegung selbst zu lernen wusste. Lag die Deutungs­hoheit in der Debatte zu Beginn der großen Demonstrationen noch bei den „Gruppen der alternativen Sicherheitspolitik“ (so der damalige CDU-Generalsekretär Heiner Geißler über die Friedensbewegung), arbeitete die christlich-liberale Koalition seit der Regierungs­übernahme daran, die Verhältnisse umzudrehen, ihre Passivität abzulegen und eine aktive Rolle einzunehmen. Die Parteiführung schien erkannt zu haben, dass neue Kommunikations­strategien notwendig waren, um die (protestierenden) Menschen zu erreichen. Auffällig dabei ist, dass verstärkt Aktions­formen, Symboliken und sprachliche Stilmittel Einzug in die Veranstaltungen, Verlautbarungen sowie Informations­publikationen der Partei fanden. Es ist also zu prüfen, ob möglicherweise ein aktiver Austausch zwischen Partei­mitgliedern unterhalb der Bundes­ebene und Anhängern der Friedensbewegung sowie die Zirkulation dieser Austauschergebnisse im CDU/CSU-Parteiapparat solche Wandlungs­prozesse bewirkten.

    Drittens soll analysiert werden, inwieweit der Streit um die Nachrüstung auch als gesamt­gesellschaft­licher Selbstverständigungs­prozess in der Bundes­republik bewertet werden kann. Der anhaltend-massive Protest vor dem Hintergrund des „zweiten Kalten Kriegs“ zeigte die Bereitschaft von Teilen der Bevölkerung, tradierte Argumentations­muster nicht länger unhinterfragt gelten zu lassen, sondern nach alternativen Konzepten suchen zu wollen. Gleichzeitig standen der Bundestagswahlerfolg der „Grünen“ und ihr erstmaliger Einzug in den Bundestag stellvertretend dafür, dass die Protestbewegungen dabei waren, sich zu institutionalisieren. Wenngleich die Grünen keinesfalls alle Forderungen des heterogenen Spektrums der einzelnen Interessen­gruppen repräsentierten, die unter dem Banner des Kampfs gegen die Stationierung von Mittelstreckenraketen ein gemeinsames, integratives Ziel gefunden hatten, deutete der Wahlerfolg doch darauf hin, dass eine Verschiebung von politischen Gewichten eingesetzt hatte. Die CDU/CSU stand damit auch vor der Herausforderung, wie mit dem neuen politischen Gegner innerhalb des Parlaments umgegangen werden sollte, der sehr tief in der Protestbewegung verwurzelt war.

    Obwohl es die CDU/CSU/FDP-Koalition war, die den Nachrüstungs­beschluss trotz aller Widerstände und nach langer und intensiver Debatte im Bundestag schließlich durchgesetzt hatte, besteht hinsichtlich der oben genannten Fragen noch ein Desiderat. Das hier portraitierte Promotions­projekt soll dazu beitragen, diese Lücke zu schließen und damit ein genaueres Verständnis darüber zu schaffen, wie die CDU/CSU in der Auseinandersetzung mit der Friedensbewegung agierte und (unbewusst?) dazu beitrug, moderne politische Kommunikation in der Bundes­republik Deutschland in den frühen 1980er Jahren zu etablieren.

  • Vivian Seidel

    Vivian Seidel, M.A.

    Vivian Seidel, M.A.

    Doktorandin
    Universität Mannheim
    Lehr­stuhl für Zeitgeschichte
    Historisches Institut, L 7,7 – Raum 208
    68161 Mannheim

    Europäische Reaktionen auf die Strategische Verteidigungs­initiative (SDI)

    (Betreuer: Gassert)

    Das Dissertations­projekt geht der Fragestellung nach, wie sich die diplomatischen Reaktionen und politischen Antworten auf die Strategische Verteidigungs­initiative (SDI) in und zwischen Westdeutschland, Frankreich, Großbritannien und den Niederlanden entwickelten; inwiefern die europäischen Regierungen einen gemeinsamen Konsens hinsichtlich der Mitarbeit an SDI finden konnten und bis zu welchem Grad sie sogar in der Lage waren eine kollektive Antwort zu harmonisieren. Die Arbeit verknüpft so die Reaktionen der westeuropäischen Regierungen mit den Dynamiken des Kalten Kriegs der 1980er Jahre und setzt diese in einen transatlantischen und diplomatiehistorischen Kontext.

    Am 23. März 1983 brachte der amerikanische Präsident Ronald Reagan die strategische Gleichung der Abschreckung, festgehalten durch den ABM-Vertrag, ins Wanken, in dem er im nationalen Fernsehen seine sog. „Star Wars“-Rede hielt und das Forschungs­programm Strategic Defense Initiative (SDI) ankündigte. Reagan sprach von der Vision mithilfe eines im Weltraum stationierten Schutz­schilds Raketen abwehren zu können und somit Nuklearwaffen gänzlich obsolet zu machen, um letztendlich den Ausbruch eines Nuklearkriegs von vornherein zu verhindern. Die weltraum­basierte Raketenabwehr schien jedoch noch in den 1980er Jahren in weiter Ferne zu liegen und somit lieferte Reagans „Star Wars“-Rede einen Startschuss für ein großangelegtes Forschungs­programm, das die technischen Möglichkeiten erarbeiten sollte. Reagan plante das Forschungs­projekt zu einem multilateralen und transnationalen Programm zu erweitern. In seiner Fernsehansprache richtete er sich deshalb nicht nur an die amerikanischen Wissenschaft­lerInnen, sondern auch an die Atlantische Gemeinschaft und ganz explizit an die westeuropäischen Partner, die durch das Verteidigungs­system ebenfalls vor Raketenangriffen geschützt werden sollten.

    SDI löste im Laufe der 1980er Jahren in den USA und in Westeuropa politische Debatten aus, wodurch die Idee der strategischen Verteidigung zunehmend zu einer politischen Realität heranwuchs, der sich die westeuropäischen Regierungen stellen und Position beziehen mussten. Die Aus­wirkungen von SDI auf die wirtschaft­liche, industrie-, strategie-, sicherheits- und außen­politische Situation in der Bundes­republik, Großbritannien, Frankreich und den Niederlanden schienen kurz nach Reagans Ankündigung 1983 nicht abschätzbar. Deshalb hatte es ausführlichen Konsultationen bedurft, um die womöglich weitreichenden Folgen bei einer Beteiligung an SDI einschätzen und bewerten zu können. Auch mehr als 30 Jahre nach Reagans Ankündigung wirft die strategische Verteidigungs­initiative die Frage auf, wie Westeuropa auf diese geplante Abwandlung der Abschreckungs­strategie reagierte und welche Folgen dies beinhaltete.

    Im Verlauf der 1980er Jahre entwickelte sich die Diskussion um eine mögliche Teilnahme an SDI zu einem bleibenden Thema zwischen den Regierungen von Margaret Thatcher, Francois Mitterrand, Helmut Kohl und Ruud Lubbers. Die westeuropäischen Politiker_Innen und Diplomat_Innen versuchten in regelmäßigen bilateralen und multilateralen Gesprächen (z.B. deutsch-französische sicherheitspolitische Zusammenarbeit; Vierergespräch der Politischen Direktoren) und Verhandlungen in unterschiedlichen Konstellationen und Institutionen (z.B. NPG, WEU, NATO, EPZ) Vor- und Nachteile einer Teilnahme an SDI abzuwägen und über mögliche Konsequenzen zu diskutieren, die sich für die Atlantische Gemeinschaft hätten ergeben können, wenn sich die westeuropäischen Partner gegen, bzw. für eine Beteiligung an SDI entschieden. Diese diplomatischen Diskussionen, die die Frage nach SDI in den 1980er Jahren hervorgerufen hatte, spiegeln die transatlantischen sowie innereuropäischen Beziehungen zum Ende des Kalten Kriegs wider. Ferner zeigt diese politische Debatte die Bedeutung der transatlantischen Kooperation auf und rückt gleichzeitig die Frage nach einer westeuropäischen Sicherheitspolitik in den Vordergrund, die zu diesem Zeitpunkt innerhalb der Europäischen Gemeinschaft nicht in der heutigen Form existierte.

    Das Dissertations­projekt setzt die Diskussionen um SDI in einen diplomatiehistorischen und transatlantischen Zusammenhang, der verdeutlicht, dass Reagans Verteidigungs­initiative nicht auf einer bloßen nationalstaatlichen Ebene die Regierungen zu Antworten und Entscheidungen gedrängt hat, sondern diese auch ein wachsendes Bewusstsein für eine europäische Sicherheitspolitik geweckt haben. Durch den multiperspektivischen und multilateralen Ansatz können exemplarisch anhand von den Reaktionen auf SDI die transatlantischen Beziehungen der 1980er Jahre und die westeuropäische Kooperation aufgezeigt werden.

    Zur Person

    Vivian Seidel war wissenschaft­liche Mitarbeiterin am Lehr­stuhl für Zeitgeschichte in Mannheim. Sie studierte European Studies in Maastricht und Nordamerika­studien in Augsburg. Ihr Dissertations­projekt fokussiert sich auf die Strategische Verteidigungs­initiative (SDI), die 1983 von Ronald Reagan angestoßen wurde. Der Schwerpunkt bildet die transatlantische Perspektive auf SDI sowie die westeuropäischen Reaktionen. Vivian Seidel war von 2017 bis 2020 Promotions­stipendiatin der Friedrich-Ebert-Stiftung und hat neben der Promotion als Assistentin der Geschäftsführung und Assistentin des Präsidenten der Deutschen Gesellschaft für Amerika­studien (DGfA) gearbeitet. 

  • Lucia Taglieber

    Luftschutz­maßnahmen im Zweiten Weltkrieg zum Schutz der Kriegsproduktion – Eine Analyse der Industriestadt Ludwigshafen am Rhein

    (Betreuerin: Borgstedt)

  • Martin Utsch

    Martin Utsch, M.A.

    Martin Utsch, M.A.

    Doktorand
    Universität Mannheim
    Lehr­stuhl für Zeitgeschichte
    Historisches Institut, L 7, 7 – Raum 208
    68161 Mannheim

    Im Schatten der europäischen Einigung – Amerikanische Handels­politik im Kontext der Uruguay-Runde der GATT-Verhandlungen (1986-1994)

    Betreuer: Prof. Dr. Philipp Gassert

    Die amerikanische Unterstützung des europäischen Projektes war um 1990 nicht mehr so selbstverständlich wie in den 1960er Jahren und den Dekaden davor direkt nach 1945. Die 1970er/80er Jahre sahen einen Meinungs­wandel auf amerikanischer Seite, mit der zunehmenden Perzeption Europas als Handels- und Wirtschafts­konkurrent der USA. Das hatte in den 1950er Jahren noch ganz anders ausgesehen, standen doch die USA als Pate an der Seite des europäischen Projekts. Seit den 1970er war der europäische Protektionismus, insbesondere im landwirtschaft­lichen Bereich, jenseits des Atlantiks eine Quelle des Ärgernisses, nicht zuletzt während GATT-Verhandlungen. Im Rahmen dieser hatten sich die Europäer als widerstands­fähige und kampfbereite Gegner erwiesen. Als sich der europäische Integrations­prozess Ende der 80er beschleunigte, behielt die amerikanische Position ihre Ambivalenz im Span- nungs­feld zwischen den Vorstellungen des transatlantischen Bündnisses und realen fortwährenden Handels­konflikten.

    Das Promotions­projekt befasst sich mit der amerikanischen Handels­politik zwischen dem Ende der 1980er und dem Anfang der 1990er Jahre im Kontext der GATT-Uruguay-Verhandlungs­runde. Die geplante Untersuchung zur Uruguay-Runde wird sich insbesondere mit den amerikanischen Perspektiven auf den sich zu dieser Zeit beschleunigenden europäischen Einigungs­prozess befassen. Das Promot onsvorhaben konzentriert sich dabei im Gegensatz zu früherern Untersuchungen mehr auf der handels­politischen Ebene der transatlantischen Beziehung, ein bis heute stürmischeren Teil dieser. Das Projekt basiert auf der Analyse von Dokumenten aus verschiedenen Ebenen des amerikanischen außen­politischen Apparates. Dadurch soll ein umfassendes Bild der amerikanischen Handels­politik gewonnen werden, von den ideologischen Einflüssen bei ihrer Gestaltung, bis zur Durchsetzung dieser Prinzipien.

    Die Uruguay-Runde und ihre Ergebnisse, vornehmlich die Schaffung der Welthandels­organisation, bilden einen „post-Cold War“ geborenen Pfeiler der heutigen internationalen „liberalen“ Ordnung, die auch vor dem Hintergrund des russischen Angriffs auf die Ukraine sowie des Aufstiegs Chinas und Indiens, in die Krise geraten ist. Das vorliegende Promotions­vorhaben kann dazu beitragen, heutige Spannungen historisch einzuordnen.

    Zur Person

    Martin Utsch studierte Geschichte in Straßburg, Bamberg und Mannheim. Während seines Masters in Mannheim von 2020 bis 2022 arbeitete er am Lehr­stuhl für Zeitgeschichte als wissenschaft­liche Hilfskraft und unterstützte dabei Dozenten bei der Vorbereitung und Durchführung Lehr­veranstaltungen. Im Herbst- und Wintersemester 2023 arbeitete er als Tutor für die International Cultural Studies Vorlesung. Martin Utsch war Fellow am Point Alpha Research Institut (PARI) von Februar bis Dezember 2023, und ist seit Januar 2024 Promotions­stipendiat der Gerda Henkel Stiftung.

  • Louisa van der Does

    Louisa van der Does, M.A.

    Louisa van der Does, M.A.

    Wissenschaft­liche Mitarbeiterin
    Universität Mannheim
    Lehr­stuhl für Zeitgeschichte
    Historisches Institut, L 7,7 – Raum 208
    68161 Mannheim
    Sprechstunde:
    Mi 11–12 Uhr

    Die Neunzehnte. Eine Straße im Rotlicht. Mannheims Bordellgasse im 20. Jahrhundert

    Betreuerin: Prof. Dr. Angela Borgstedt

    Mannheims Bordellgasse wurde im Jahre 1903 als Reaktion der Ordnungs­macht auf das „Dirnenunwesen“ ins Leben gerufen. In den fast 120 Jahren ihres Bestehens war sie immer (auch) Ort der Prostitution in Mannheim, obwohl es durch Stadt und Gesellschaft wiederholt Versuche gab, dies zu ändern. Weder Verbote noch Initiativen zur Umsiedelung des als Schandfleck empfundenen Rotlichtbezirks hatten jedoch eine langfristige Wirkung – bis heute wird Prostitution in der neunzehnten Querstraße der Neckarstadt-West ausgeübt.

    Das Dissertations­vorhaben fokussiert sich auf den konkreten Bereich der Lupinenstraße (vor 1961: Gutemannstraße) beziehungs­weise ihrer unmittelbaren Umgebung und nutzt die Perspektive des spatial turn, um diesen Bereich in der Stadtgeschichte zu ver-„orten“. Hier entsteht ein Geschichtsnarrativ im Kleinen; entsteht Mikrogeschichte. Diese kann zugleich als Spiegel für regionales und überregionales Geschehen sowie als Vergleich für die Situation in anderen deutschen Städten dienen. Es ergibt sich dabei ganz selbstverständlich, der Aufforderung des Historikers Karl Schlögel zu folgen und im Raum die Zeit zu lesen.

    Untersucht werden die Konstitution und Transformation des Raums durch die lokalen Akteure. Dazu gehört die Raumoberfläche, die sich besonders frappierend verändert durch Zerstörungen im Luftkrieg oder die Abriegelung in den 1960-er Jahren. Aber auch soziale Prozesse, Beziehungen und Konstellationen unterliegen dem Wandel. Hier ist der Blick von peripher eingebundenen Personen, wie etwa Anwohnern, die sich in einem Zwischenraum jenseits von drinnen und draußen befinden, zu berücksichtigen. Zuletzt sollen affektive Bezüge zum Raum betrachtet werden, der durch die Gesellschaft ständig neu imaginiert und bewertet wird.

    Methodisch stützt sich das Forschungs­projekt unter anderem auch auf Zeitzeugengespräche. Menschen, die es durch ihre Erinnerungen bereichern und unterstützen möchten, sind gebeten, ihr Wissen zu teilen und den Lehr­stuhl für Zeitgeschichte zu kontaktieren.

    Zur Person:

    Louisa van der Does ist Doktorandin am Lehr­stuhl für Zeitgeschichte.

    Sie studierte Geschichte und Anglistik an der Universität Mannheim. 2018 schloss sie das Studium mit einer Master-Arbeit zur NS-Zwangs­sterilisation ab. Von 2019–2022 arbeitete sie für das MARCHIVUM im Bereich NS-Dokumentations­zentrum.

    Publikationen:

    „Ein Arzt wurde nicht hinzugezogen…“ Leben und Sterben von Mannheimer Zwangs­arbeiterInnen 1939-1945, in: Mannheimer Geschichtsblätter 43/2022, S. 85–102.

    NS-„Euthanasie“ und Zwangs­sterilisation in der Pfalz am Beispiel der Stadt Speyer, in: Angela Borgstedt/ Christiane Pfanz-Sponagel (Hg.), Speyer im Nationalsozialismus (Das Buch erscheint Ende 2022).

  • Olga Volz

    Verbotener Umgang mit Zwangs­arbeitern

    (Betreuerin: Borgstedt)


Abgeschlossene Promotions­projekte

  • Dr. Philipp Baur

    Protest und Vergnügen: Musik in der Friedensbewegung der 1980er Jahre

    (Betreuer: Philipp Gassert)

    Diese Arbeit untersucht die Rolle von Musik in der Friedensbewegung der 1980er Jahre. Sie argumentiert, dass die Verschränkung von Protest und Vergnügen ein Kennzeichen der Protestkultur war. Vergnügen im Sinne einer positiven Emotion der Heiterkeit und des geteilten Spaßes war eine wichtige Ressource politischen Handelns – auch und gerade weil die nukleare Aufrüstung in Europa einen ernsthaften, bedrohlichen und damit negativen Anlass darstellte. Die vorliegende Arbeit erweitert das Verständnis der Nachrüstungs­debatte jenseits der „Raketenfrage“ und richtet den Fokus auf den gesellschaft­lichen und kulturellen Wandel, wie er in der Musikkultur der Friedensbewegung zum Ausdruck kam. Die Demonstrationen waren – im O-Ton der Zeit – „Volksfeste für den Frieden.“ Die Musik­programme der Großkundgebungen und der Festivals von „Künstler für den Frieden“ stehen für eine Popkulturalisierung und Eventisierung von Protest.

    Im Zuge der Nachrüstungs­debatte entwickelte sich eine neue Form der Zusammenarbeit zwischen Protestbewegung und Musikbranche, die grundlegend für diesen Wandel war. Musik war auch Teil der performativen Protest­strategie der Friedensbewegung. Gemeinsames Singen traditioneller Volks- und Protestliedern, aber auch selbst komponierter oder umgedichteter Lieder war eine wichtige Aktions­form bei Protestmärschen, Friedenscamps und Sitzblockaden. Mit Musik erschuf die Friedensbewegung ihre eigene Identität als emotionale Gemeinschaft, verortete sich in einer Tradition von Protest- und Widerstandsbewegungen und erzeugte ein attraktives kulturelles Flair geprägt von positiven Emotionen und Vergnügen. Die Arbeit argumentiert, dass diese Öffnung der Friedensbewegung gegenüber dem generationellen Wandel und neuen, zeitgemäßen Protestformen mit ausschlaggebend für die Massenmobilisierung der Jahre 1982/83 war.

    Baur, Philipp, Protest und Vergnügen. Musik in der Friedensbewegung der 1980er Jahre, Diss. Mannheim 2023. URL: https://madoc.bib.uni-mannheim.de/64551/.

    Die Arbeit wurde durch ein Promotions­stipendium des Elite­netzwerks Bayern gefördert.

  • Dr. Anne Bieschke

    “Frieden im Patriarchat ist Krieg für Frauen!” – Die westdeutsche Frauenfriedensbewegung der 1970er und 1980er Jahre

    (Betreuer: Gassert)

    Im Februar 1980 gingen Frauen in ganz Europa und darüber hinaus als „Frauen für den Frieden“ auf die Straße. Auch in Westberlin formierte sich Widerstand gegen den Machtkampf zwischen den USA und der Sowjetunion, gegen Frauen in der Bundes­wehr, gegen die Herstellung und Stationierung von Nuklearwaffen. Aus dieser Gruppe von Frauen entstand innerhalb von Monaten eine eigene Frauenfriedensbewegung. Ihr Engagement und ihre Bedeutung für die politische und gesellschaft­liche Auseinandersetzung um den NATO-Doppelbeschluss vom Dezember 1979 ist Gegenstand dieses Buchs. Die Frauenfriedensbewegung positionierte sich ab 1980 in und neben der Friedensbewegung und der Neuen Frauenbewegung. Obwohl die Aktivistinnen sich zu beiden Gruppen zugehörig fühlten, blieben sie eine eigenständige Bewegung. Die Frauenfriedensbewegung agierte als Schnittstelle; sie war gleichermaßen Bindeglied wie Reibungs­punkt der einzelnen Parteien. Die Autorin zeigt die Frauenfriedensbewegung als genuinen Bestandteil der Demokratisierung und Herausbildung sozialer Bewegungen in Deutschland.

    Link zur Deutschen Digitalen Bibliothek (DNB)

  • Dr. Sebastian Demel

    Verschränkung von erfolgreicher Unternehmens­führung, gesellschaft­licher Verantwortung und innovativer Wissenschafts­förderung. Das Beispiel Carl Zeiss, Otto Schott und Ernst Abbe

    (Gefördert durch die Carl-Zeiss-Stiftung, Betreuer: Steinbach)

    Das 19. Jahrhundert brachte mit dem bürgerlich geprägten Mäzenatentum eine neue Form gemeinwohl­orientierten und zugleich zielgerichteten Handelns hervor. Im Zentrum stand dabei zunächst die Kunst- und Museums­förderung. Die durch Ernst Abbe im Jahr 1889 ins Leben berufene Stiftung unterscheidet sich von den bis dahin verbreiteten Förderungs­initiativen. Sie zeichnet sich durch die durchaus innovative Kombination von erfolgreicher Unternehmens­führung, gesellschaft­licher Verantwortung, zielgerichteter Förderung unter Betonung der Mitverantwortung der Stifter für die weitere Entwicklung und durch das durchaus politische Ziel aus, gesellschaft­liche Defizite abzubauen und eigenständige wissenschaft­liche und wirtschaft­liche Akzente zu setzen. Mit der Stiftung als Steuerungs­element bürgerschaft­lichen Engagements reagierte Abbe auf den sozialen Wandel zum Ende des 19. Jahrhunderts durch Anpassung an die von ihm wahrgenommenen Folgen von Industrialisierung und moderner Leistungs­gesellschaft. Sein Handeln muss daher als Problembewusstsein und kritische Auseinandersetzung mit der Modernisierung und ihren Folgen sowie einer daraus resultierenden Übernahme bürgerschaft­licher Verantwortung interpretiert werden.

    Grundlage für die Stiftung war die erfolgreiche Entwicklung der Firmen Carl Zeiss und Schott & Genossen zu Welt­markt­führern durch die innovative Verbindung von wissenschaft­lichem Sachverstand, mechanischer Präzision und industrieller Organisations­fähigkeit. Die Initiative zur Stiftungs­gründung wiederum ging von Ernst Abbe aus. Der aus der Arbeiterschaft aufgestiegene Natur­wissenschaft­ler sah sich als Unternehmer in der Pflicht, Verantwortung für die Allgemeinheit zu übernehmen und forderte “eine öffentliche Tätigkeit des Unternehmertums”. Er fasste daher den Plan, eine Stiftung zu gründen.

    Die Carl Zeiss-Stiftung stellte ein innovatives Modell dar, wie durch die Übertragung der Unternehmens­anteile in eine Art „unpersönliche Hand” ein Unternehmen wirtschaft­lich erfolgreich und wissenschaft­lich nachhaltig geführt werden könne. Gleichzeitig gestand das umfangreiche Stiftungs­statut von 1896 mit der Verrechtlichung der Arbeits­beziehungen bei Zeiss und Schott der Belegschaft einklagbare Rechte und Leistungen zu, die einen Interessenausgleich mit der Unternehmens­führung auf lange Zeit ermöglichen sollten. Soziale Projekte außerhalb der Betriebe kamen der Bevölkerung und besonders den unteren Schichten zugute, während den Wissenschaften an der Universität Jena umfangreiche Fördermittel zur Verfügung gestellt wurden.

    Die Carl Zeiss-Stiftung erwies damit als ein Instrument, das den gesellschaft­lichen Wandel mitgestaltete und die Anpassung an von Abbe wahrgenommene gesellschaft­liche Problemlagen unterstützte. Gleichzeitig setzte sie sein wirtschaft­liches und gesellschaft­liches Idealbild in Realität um. Sein Ziel mit der Stiftung war es, auf eine freie Gemeinschaft von Staats­bürgern mit gleichen Rechten und Pflichten und unabhängig von Besitz und Stand hinzuarbeiten.

    Ernst Abbe stand mit seinem Wirken aber nicht allein – in einem Vergleich mit anderen Sozialreformern, Stiftern und Unternehmens­leitern wird das Beispiel der Carl Zeiss-Stiftung in den Kontext einer allgemeinen Verantwortungs­gesellschaft zu Ende des 19. Jahrhunderts gestellt. Denn bürgerschaft­liches Engagement im Kaiserreich war breit angelegt, vielfältig und muss als politisches Handeln verstanden werden, wenn Bürger auf die Ausgestaltung von Gesellschaft einwirkten, trotz defizitärer parlamentarischer Partizipations­möglichkeiten. Die historische Bewertung des deutschen Kaiserreichs muss daher um die Perspektive einer handlungs­fähigen und -willigen Zivil­gesellschaft differenzierend erweitert werden.

  • Prof. Dr. Jacob S. Eder

    Holocaust Angst. The Federal Republic of Germany and Holocaust Memory in the United States, 1977-1998

    (University of Pennsylvania, Betreuer: Gassert)

    This dissertation examines the perceptions and reactions of the leadership around Helmut Kohl, West German and then German chancellor from 1982 to 1998, to public United States, e.g. in the mass media, museums, monuments, and educational programs. Drawing on primary sources from over a dozen governmental, party, and institutional archives in both countries, it is among the first projects investigating German-American relations and transnational German efforts to cope with the Nazi past during the 1980s and 1990s to be based on archival documents (made accessible after multiple declassification requests). I argue that a network of West German officials and their associates in private organizations, mostly in the conservative spectrum, perceived themselves as the “victims” of American Holocaust memorial culture. Here they interpreted a lack of attention to the transformation of West Germany after 1949 and feared that public manifestations of Holocaust memory could severely damage its reputation in the United States. I refer to the concerns catalyzed by these perceptions as “Holocaust Angst.” This phenomenon propelled a number of developments, which I analyze in five case studies: the emergence of American Holocaust memorial culture as a political “problem” in the eyes of West German officials in the late 1970s; relations between the Kohl government and American Jewish organizations; West German efforts to influence the content of the United States Holocaust Memorial Museum’s permanent exhibition; cooperation between West German government officials and scholars to channel discourse about Germany and German history in the United States; and sources of conflict and instances of cooperation in German-American Jewish relations after German reunification. In the end, efforts made by the aforementioned circle of political decisionmakers, diplomats, lobbyists, and scholars to change American Holocaust discourse failed. Yet they managed to establish a stable relations­hip with several American Jewish organizations and founded institutions that continue to shape German-American relations today. German engagement with American Holocaust memory also contributed to the transformation of Holocaust memory in the Federal Republic and eventually rendered it a “positive resource” for German self-representation abroad.

    The dissertation, completed in 2012 at the University of Pennsylvania, has won three prestigious international prizes: the 2013 Betty M. Unterberger Dissertation Prize of the Society for Historians of American Foreign Relations; the 2013 Fraenkel Prize in Contemporary History (Category B) of the Wiener Library; and the 2013 Marko Feingold Prize in Jewish Studies, awarded by the University, City, and State of Salzburg, Austria. It was also a finalist for the Fritz Stern Dissertation Prize of the German Historical Institute in Washington.

    Link to a resulting publication (Google Books)

  • Dr. Marius Golgath

    Le cœur étrange et l’âme française? : Kaufleute, Händler und Unternehmer in Lille: eine vergleichende Studie zur britischen, deutschen und schweizerischen Migration nach Nordfrankreich (1789-1914)

    (Betreuerin: Borgstedt)

    Die an der Philosophischen Fakultät der Universität Mannheim abgelegte Dissertation befasst sich mit dem Einleben von eingewanderten Geschäftsleuten in der nordfranzösischen Stadt Lille ausgehend von der öko- nomischen Tätigkeit. Als Quellen für den Untersuchungs­zeitrum 1789 bis 1914, dienen bisher wenig beachtete Archivalien. Der Schwerpunkt liegt nebendem Kultur- und Wissenstransfer auf dem Anpassungs­prozess. Es wird gefragt, wie sich die Selbstwahrnehmung und Identität im Generationen­verlauf veränderten. Mit der auf Homi K. Bhabha zurückgehenden Hybriditätstheorie zum „dritten Raum der Identität“ wird versucht, die bisherigen Assimilations- und Integrations­konzepte aufzubrechen. Dafür werden die englische Familie Geldart, die schottische Familie Baxter, die deutsche Familie Kolb und die schweizerische Familie de Felice untersucht. Mit Ludwig Philipp Kolb aus Grötzingen bei Karlsruhe besaß Charles de Gaulle einen deutschen Ururgroßvater, was selbst in Lille so gut wie unbekannt ist.

    Link zur Deutschen Digitalen Bibliothek (DNB).

  • Dr. Ruth Hatlapa

    Unser Obama : Europäische Identitätskontruktionen in der Bericht­erstattung über US-Wahlen.

    (Betreuer: Gassert)

     

    Alle vier Jahre verfolgen die Medien in Europa mit gebannter Aufmerksamkeit die Präsidentschafts­wahl in den USA. Die Erwartungen, Hoffnungen und Sorgen, die in den Kommentaren zur Wahl ausgedrückt werden, machen vor allem die eigenen Werte und Normen sichtbar. Anhand der Wahlbericht­erstattung britischer, deutscher und spanischer Zeitungen zwischen 1992 und 2012 entschlüsselt Ruth Hatlapa erstmals systematisch, wie über die mediale Wahrnehmung der US-Präsidenten Bill Clinton, George W. Bush und Barack Obama europäische und nationale Identitäten und Visionen der Atlantischen Allianz nach dem Ende des Kalten Krieges verhandelt wurden. Mit dem Konzept des »Identitätsbaukastens« zeigt sie, wie die kleinteiligen Fragmente des Mediendiskurses als Bausteine für antiamerikanische oder romantisierende Amerikabilder dienen.

    Hatlapa, Ruth, Unser Obama europäische Identitätskonstruktionen in der Bericht­erstattung über US-Wahlen, Frankfurt/New York 2021.

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  • Dr. Kerstin Hofmann

    Geschlossene Gesellschaft? Die Mitarbeiter der Zentralen Stelle der Landes­justizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen in Ludwigsburg 1958 bis heute

    (Betreuer: Steinbach)

    Das Dissertations­projekt von Kerstin Hofmann befasst sich mit den Akteuren der justiziellen Aufarbeitung von NS-Verbrechen in der Bundes­republik. Der Fokus liegt hierbei auf der Zentralen Stelle der Landes­justizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen in Ludwigsburg. Anhand der dort tätigen Staats­anwälte wird untersucht, welche Funktionen oder Bedeutung eine spezifische Gruppe von Akteuren für die Selbstaufklärung der bundes­republikanischen Gesellschaft hatte. Die Dissertation leistet einen Beitrag zur juristischen Zeitgeschichte, der justiziellen “Vergangenheitsbewältigung” sowie der Ideen- und Mentalitätsgeschichte.

  • Dr. Evelyn Huber

    Fighting Generikee: Resistance Against Native American Marketing Representations, 1930-2015

    (Gefördert von der Gerda-Henkel-Stiftung, Betreuer: Gassert)

    Das Promotions­projekt „Fighting Generikee“ untersucht auf qualitativer und quantitativer Ebene Proteste in den USA gegen die Verwendung von Indigenität als Marketing­strategie sowie Unternehmens­strategien im (öffentlichen) Umgang mit diesen Protesten.

    Jeep Cherokee, Eskimo Pies, Mohawk Carpet Mills, Land O`Lakes Butter, Red Man Tobacco und Crazy Horse Malt Liquor sind nur wenige Beispiele der zahlreichen Unternehmen, die ihre Marken und Produkte mit einem Touch von Indianness umwerben. Mit seinen prototypischen Eigenschaften wie Kraft, Stolz oder auch Wildheit bzw. deren Bezwingung soll der generische Werbeindianer beim Konsumenten Assoziationen von amerikanischer Herkunft, Natürlichkeit, Exotik und Macht hervorrufen. Indigene Kunst und Designs sind ebenso seit der Besiedelung Amerikas äußerst beliebt. Schmuck, Souvenirs und andere Kunstgegenstände bilden in den USA einen stetig wachsenden, milliardenschweren Absatz­markt, der von Imitationen und Billigimporten gefährdet ist.

    Der Aktivismusgegen Marketing­praktiken wendet sich spätestens seit den 1930er Jahren gegen die unautorisierte Verwendung indigener Designs, Symbole oder Namen. Seit den 1960er Jahren aber treten vermehrt auch ethische Aspekte wie stereotype Darstellungs­weisen von Native Americans als „nobler Wilder“ oder „sexy Squaw“ in verschiedensten Werbemedien in den Vordergrund. Da inzwischen viele Stämme ihre Stammesnamen markenrechtlich geschützt haben, mehren sich seit der Jahrtausendwende auch Fälle von Markenrechts­verstößen, die gerichtlich verhandelt werden.

    Betroffen waren in den USA bislang neben zahlreichen Klein­unternehmen auch Konzerne wie Anheuser-Busch, Nestlé, Liz Claiborne, Urban Outfitters, Nike oder GAP. Die geografische Verteilung von Protesten verweist nicht nur auf besonders aktive Kritiker, sondern auch auf deren u.a. regional unterschiedliche Interessenslagen, die von der fairen Repräsentation indigener Menschen, dem Schutz der Privatsphäre bis hin zur Sicherung des Einkommens reichen. Gelegentliche Proteste beispielsweise in Großbritannien, Frankreich und Neuseeland deuten darauf hin, dass entsprechende Werbe­richtlinien im Zuge der Globalisierung für international vertretene Firmen an Relevanz gewinnen.

    Das Projekt untersucht zudem das Krisen­managementvon Werbetreibenden angesichts der Proteste und die Bewertung der Strategien durch Nachrichtenmedien. Anhand dessen werden nicht nur effektive Protest­strategien, sondern auch erfolgreiche Umgangsweisen aus Firmenperspektive herausgearbeitet. Bei Vorwürfen wie Rassismus oder Sexismus entscheidet die Reaktion des Unternehmens darüber, ob diese dem Firmenimage letztlich schaden, oder ob die Kritik sogar zu einer positiven Imagebildung beitragen kann.

     

    Bei der Verwendung von Indigenität zum Zweck der (Selbst-) Ver­markt­ung und insbesondere bei der Praxis des Playing (sexy) Indian findet die Stellung weißer Frauen gegenüber indigenen Frauen besondere Beachtung, da dieses Mächte­verhältnis in Protesten zunehmend als hegemonial angeprangert wird. In diesem Zuge arbeitet das Projekt heraus, inwieweit Kritiker Werbung als Ausdruck wie auch als Akteur desKolonialismus betrachten, und welche Strategien der Dekolonisation sie dem entgegensetzen.

     

    Zur Person:

    Evelyn Huber schloss 2013 erfolgreich den Master­studien­gang Historische Wissenschaften mit dem Schwerpunkt Neuere und Neueste sowie Amerikanische Geschichte an der Universität Augsburg ab. Nach ihrem akademischen Jahr an der Emory University (Atlanta, USA) begann sie 2015 an der Universität Mannheim unter dem Titel „Fighting Generikee“ ihre Promotion zum Thema Proteste gegen indigene Werberepräsentationen in den USA.

  • Dr. Sandra Kraft

    Vom Autoritätskonflikt zur Machtprobe: Die Studentenproteste der 60er Jahre als Herausforderung für das Establishment in Deutschland und den USA

    (Universität Heidelberg, Betreuer: Gassert)

    War die 68er-Bewegung wirklich Ausdruck eines Generationen­konflikts? Sandra Kraft untersucht sie als Konflikt zwischen antiautoritärer Studentenbewegung und dem Establishment als deren politischem Gegenüber. Sie zeigt, dass die Radikalisierung der Bewegung auch von den (Re-)Aktionen des Establishments beeinflusst war. Der Blick auf verschiedene Protesträume – Universität, Straße und Gerichtssaal – verdeutlicht, dass gerade die situations­bedingte Dynamik, die sich aus dem Zusammenspiel der Akteure (Studenten auf der einen, Polizei und Establishment auf der anderen Seite) ergab, ausschlaggebend für den Verlauf der Ereignisse war.

    Link zur Universitäts­bibliothek Heidelberg.

  • Dr. Johannes Mühle

    Vorbereitung auf den Verteidigungs­zustand. Ökonomische, technische, materielle und personelle Aspekte und Dimensionen der Mobilmachung und Militarisierung der DDR-Gesellschaft in den 1970er und 1980er Jahren

    (Betreuer: Bange)

    Das Dissertations­projekt erforscht die Dimensionen und Aus­wirkungen der gesamt­gesellschaft­lichen wie territorialen Mobilmachung und Militarisierung der DDR in den 1970er und 1980er Jahren. Die besondere militärgeografische Lage der DDR an der westlichen Bündnisgrenze des Warschauer Vertrages machten nach den Maßgaben des sowjetischen Generalstabs und der Vereinten Streitkräfte besondere Vorkehrungen und Vorbereitungen nötig. Zum einen waren die bewaffneten Organe der DDR entsprechend den operativen Planungen personell wie technisch-materiell aufzustellen, um erfolgreich an offensiven Handlungen nach einem Angriff der NATO, der als unausweichlich angenommen wurde, teilzunehmen. Zum anderen mussten dafür das Territorium und die gesellschaft­lichen Bereiche bereits im Frieden als potentielles Versorgungs­hinterland der Truppen des Warschauer Vertrages hergerichtet werden. So schrieb bereits 1961 das Verteidigungs­gesetz der DDR die Nutzbarmachung aller Ressourcen des Landes für die Landes­verteidigung vor.
    Neben Lagern für Reserven zählen dazu die personelle Mobilisierung zur Landes­verteidigung jenseits von Wehrdienst und Sozialistischer Wehrerziehung, die Ausrichtung des Infrastrukturnetzes auf die Belange der Heranführung von Truppen aus dem Osten oder die zahlreichen Schnittmengen und Querverbindungen zwischen dem militärischen und den zivilen Bereichen. Darüber hinaus wurden Mittel des zivilen Bereichs, beispielsweise des Gesundheitswesens oder Fahrzeuge, Maschinen und Gerät aus der Volkswirtschaft fest für die Mobilmachung von Truppen und den Verteidigungs­fall eingeplant. So ergaben sich nicht nur zahlreiche zivil-militärische Doppelfunktionen, sondern mit­unter eine erhebliche Verknappung von wichtigen Ressourcen des zivilen Sektors.
    Die Arbeit folgt der Fragestellung, welche materiellen und personellen Kapazitäten der DDR-Gesellschaft über das Militär hinaus in welcher Weise für die Landes­verteidigung eingesetzt bzw. eingeplant wurden. Anliegen ist es, die Ausmaße und Folgen für Gesellschaft, Infrastruktur und Wirtschaft des Landes dieser Vorbereitung auf den Verteidigungs­zustand zu systematisieren und quantifizieren sowie die Rolle der Militarisierung bei der Herrschafts­sicherung der SED zu untersuchen.

    Zur Person

    Johannes Mühle, geb. 1988 in Bad Muskau, studierte von 2007 bis 2013 die kultur­wissenschaft­liche Ausrichtung des Studien­gangs Kultur und Technik an der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus (seit Juli 2013 Brandenburgische Technische Universität Cottbus-Senftenberg) auf Bachelor und Master. Seine Master­arbeit verfasste er zum Thema: „Wir waren eingesperrt und haben uns selbst bewacht” – Hintergründe, Motive und philosophische Aspekte des Dienstes bei den grenzsichernden Organen der DDR. Von 2012 bis 2013 war er studentische Hilfskraft am Lehr­stuhl für Technikgeschichte an der BTU Cottbus, zwischen November 2013 und Mai 2014 erarbeitete er einen militärhistorischen Reiseführer und einen militärhistorischen Handbuchartikel im Rahmen des Projekts: Die Niederlausitz und die südliche Lubuskie. Eine Kulturlandschaft im Zentrum Europas. Sein im Juni 2014 aufgenommenes Promotions­projekt am Historischen Institut der Universität Mannheim beschäftigt sich mit den Dimensionen und Aus­wirkungen der Mobilmachung und Militarisierung der DDR-Gesellschaft in den 1970er und 1980er Jahren.

    Publikationen

    Johannes Mühle, Jan Łukasiewicz. Bedeutung der logischen Analyse für die Er­kenntnis, In: Mario Harz/Jakob Meier (Hg.), Collegium Logicum: Schriften zur Logik, Cottbus 2011, S. 24 bis 27.

    Johannes Mühle, Glasindustrie als „Integrations­motor”?. Das Beispiel Weißwasser als Glasindustrie­standort im 19. Jahrhundert, In: Heinz-Dieter Heimann/Klaus Neitmann/Thomas Brechenmacher (Hg.), Die Nieder- und Oberlausitz – Konturen einer Integrations­landschaft, Bd. III: Frühes 19. Jahrhundert, Berlin 2014, S. 247 bis 253 (= Studien zur brandenburgischen und vergleichenden Landes­geschichte, Bd. 13).

  • Dr. des. Lea Oberländer

    Mannheim im Kontext der NS-„Euthanasie“-Verbrechen

    (Gefördert durch: Heinrich-Vetter-Stiftung, Wilhelm-Müller-Stiftung, MARCHIVUM, Universitäts­klinikum Mannheim, Universität Mannheim; Betreuer: Gassert)

    Das im April 2017 begonnene Dissertations­projekt beschäftigt sich mit dem hunderttausendfachen Massenmord an kranken und behinderten Menschen während der nationalsozialistischen Diktatur, für den der beschönigende Begriff „Euthanasie“ geprägt wurde. Die Studie verfolgt einen lokalen Ansatz und arbeitet die Geschichte der Stadt Mannheim in diesem Kontext erstmals auf.

    Die Stadt Mannheim wird dabei als gesellschaft­licher, politischer und institutioneller Raum zum Untersuchungs­gegenstand. Ziel der Arbeit ist es, die Rolle der Stadt im System des „Euthanasie“-Programms auf verschiedenen Ebenen zu analysieren. Dazu gehören Fragen zu Haltung und Handlung der politisch Verantwortlichen, zu Mitwisserschaft und Mittäterschaft städtischer und kirchlicher Institutionen sowie nach gesellschaft­licher Akzeptanz oder Ablehnung des Mordens. Von besonderem Interesse ist die Reaktion von Angehörigen der Opfer.

    Da bislang keine umfassende wissenschaft­liche Aufarbeitung der „Euthanasie“-Verbrechen an Mannheimer Bürgerinnen und Bürgern stattgefunden hat, ist intensive Grundlagenforschung ein wichtiger Bestandteil des Projekts. Zentral ist hierbei der Aufbau einer Datenbank, die möglichst alle Opfer der „Euthanasie“, die in Mannheim geboren wurden oder hier ihren letzten Wohnsitz hatten, erfassen soll. Eine solche Datenbank wird stets work in progress bleiben und auch über den Abschluss der Dissertation hinaus für Ergänzungen und Recherchen zugänglich bleiben. Die Ergebnisse der statistischen Auswertung der Datenbank bilden die Basis des Forschungs­projektes. Daneben sollen auch ausgewählte Einzelschicksale exemplarisch dargestellt werden.

    Die Studie eröffnet eine neue Perspektive auf das Forschungs­feld „Euthanasie“, indem sie eine Stadt in den Fokus rückt, in der es mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht zu „Euthanasie“-Morden gekommen ist. In Mannheim gab es weder eine stationäre psychiatrische Anstalt noch Gaskammern, in denen Menschen planmäßig ermordet wurden. Die meisten psychisch Kranken wurden in der etwa 30 km entfernten „Heil- und Pflegeanstalt Wiesloch“ untergebracht und viele von ihnen von dort aus, oft auf Umwegen über weitere psychiatrische Einrichtungen, in die Tötungs­anstalten Grafeneck und Hadamar deportiert. Die Aus­wirkungen räumlicher Distanz zwischen den Morden und der Heimatstadt der Opfer kann auf diese Weise erforscht werden.

    Das Dissertations­projekt verfolgt ein doppeltes Anliegen: Einerseits soll ein Beitrag zur historischen „Euthanasie“-Forschung entstehen, der durch den Fokus auf eine Stadt, nicht auf eine Anstalt, einen neuen Ansatz bietet. Andererseits versteht sich die Studie als Lokalgeschichte, die einen wichtigen Teil der Mannheimer Geschichte aufarbeitet und den wissenschaft­lichen Grundstein für ein würdiges Gedenken an die Opfer legt.

    Es ist ein besonderes Anliegen der Forschungs­arbeit, neben den amtlichen Quellen auch Zeitzeugen-Interviews einzubeziehen. Angehörige von Mannheimer Opfern des nationalsozialistischen „Euthanasie“-Programmes, die mit ihren Erinnerungen das Projekt unterstützen möchten, sind herzlich eingeladen. Aber auch Personen, die sich im Allgemeinen an das Thema „Euthanasie“ während der NS-Zeit in Mannheim erinnern (z.B. an den damaligen Unterricht in der Schule, an Gespräche hierüber in der Familie, im Freundeskreis oder in der Kirche, an verbreitete Gerüchte oder Ängste in der Stadt), werden gebeten, Ihr Wissen mitzuteilen und sich an folgende Adresse zu wenden:

    Zur Person:

    Lea Oberländer ist seit April 2017 Doktorandin am Lehr­stuhl für Zeitgeschichte. Zuvor studierte sie von 2011 bis 2017 Geschichte und Germanistik an der Universität Mannheim sowie an der University of Exeter, Großbritannien. 2017 schloss sie das Geschichtsstudium mit einer Master-Arbeit zum Verhältnis von Hochadel und Liberalismus im 19. Jahrhundert mit dem Titel „Der ‚Coburger Plan‘ – Eine liberale Alternative für Deutschland und Europa? Eine Studie zum Reformansatz monarchischer Repräsentation im 19. Jahrhundert“ am Lehr­stuhl für Neuere Geschichte bei Prof. Dr. Erich Pelzer ab.

    Publikationen:

    „Wir sind voll Unruhe – und das ist unser Glück“. Jüdische Jugendbünde 1907–1938, in: Philipp Gassert / Ulrich Nieß u.a. (Hrsg.): Jugendprotest und Jugendkultur im 20. Jahrhundert. Über 100 bewegte Jahre in Mannheim, Mannheim 2017, S. 18–28.

  • Dr. Jennifer Rodgers

    Vom ‘Archiv des Grauens’ zum ‘Schaufenster der Demokratie’: Der Internationale Suchdienst und transatlantische Vergangenheitspolitik in der Ära des Kalten Krieges

    (University of Pennsylvania, Betreuer: Gassert)

    Jenniger Rodgers interessierte sich für die Politisierung des Archivwesens und ihre Dissertation nimmt als Ausgangspunkt die vor kurzem veröffentlichten Akten des Internationalen Suchdienstes (ITS), der von den britischen und amerikanischen Regierungen im Jahre 1944 gegründet wurde, um die im Laufe des Zweiten Weltkrieges vermissten oder verschleppten Personen zu suchen. Der eskalierende Kalte Krieg aber führte zu einer starken Veränderung des ursprünglichen Mandats. Es geht mir daher um die Instrumentalisierung des Suchdienstes und des sogenannten „Archiv des Grauens” durch die Bundes­republik Deutschland und die Westallierten zwischen den Jahren 1950 und 1956, um ihre politischen und kulturellen Ziele zu fördern und zu legitimieren. Sowohl die Verwaltung des Suchdienstes als auch die Kontrolle über die Archivalien waren von beträchtlicher zweckmässiger und symbolischer Bedeutung für die beteiligten Staaten, von den Vereinigten Staaten über die Bundes­republik Deutschland bis zum Staat Israel. Meine Forschung zeigt die überraschende und einflussreiche Rolle des ITS in der Entwicklung des Kalten Krieges, der Beziehungen zwischen den Staaten des Westens in der Nachkriegszeit, sowie der frühen Geschichtspolitik der Bundes­republik Deutschland.

  • Dr. Richard Rohrmoser

    Dr. Richard Rohrmoser

    Dr. Richard Rohrmoser

    Assoziiertes Mitglied
    Universität Mannheim
    Lehr­stuhl für Zeitgeschichte
    Mannheim

    »Sicherheitspolitik von unten« – Gewaltfreie Proteste gegen nukleare Mittelstreckenraketen in Mutlangen 1983-1987

    (Gefördert von der Deutschen Forschungs­gemeinschaft, DFG, Betreuer: Philipp Gassert)

    Im Konflikt um den NATO-Doppelbeschluss und der Stationierung atomarer Mittelstreckenraketen in der Bunderepublik avancierte der kleine schwäbische Ort Mutlangen zum Kristallisations­punkt und Inbegriff des Nachrüstungs­protests. Aufgrund der dortigen Konzentration von Demonstrationen und Blockaden gegen die Dislozierung der Pershing II Raketen ab dem „Heißen Herbst“ 1983 wurde Mutlangen jedoch nicht nur zum physischen Epizentrum für Protest, sondern wegen der ausschließlich gewaltfrei ausgetragenen Aktions­formen auch zu einem zentralen Symbolort der Friedensbewegung. Auf drei verschiedenen Analyseebenen werden die Mikrogeschichte des Protests sowie die daraus resultierenden juristischen und gesamt­gesellschaft­lichen Implikationen untersucht.

    (1) Der Protest vor dem Tor: In einem ersten Schritt werden die konkreten Aktions­formen (Sitzblockaden, Manöververfolgungen, etc.) und Strategien („Ziviler Ungehorsam“) der diversen Protest­gruppen vor dem Mittelstreckenraketen-Depot in Mutlangen sowie die Reaktionen von deren Konflikt­partnern – d.h. die Bundes­regierung, die Lokal- und Landes­politik, das Militär, die Polizei sowie die Anwohner – erforscht.

    (2) Der Protest vor Gericht: Anknüpfend daran wird die Verlagerung der Auseinandersetzung in die Gerichtssäle diskursiv untersucht, wo Tausende von Straf­verfahren durch alle Instanzen bis hin zum Bundes­verfassungs­gericht geführt wurden und somit eine regelrechte „Justizkrise“ auslösten, die schließlich zu zwei sich widersprechenden Bundes­verfassungs­gerichtsurteilen in den Jahren 1986 und 1995 führte.

    (3) Der Protest und die Öffentlichkeit: In einer dritten Analyseebene werden die öffentliche Wahrnehmung und der mediale Diskurs über die gewaltfreien Aktions­formen der diversen Protest­gruppen in der etablierten als auch alternativen Presse sowie das Ausmaß der gesellschaft­lichen Akzeptanz und die Fortführung dieser Performanzen im Rahmen einer institutionalisierten Protestinfrastruktur thematisiert.

    Der Interaktions­raum Mutlangen – mit der Friedensbewegung und ihren Konflikt­partnern – ist eine anschauliche Fallstudie dafür, dass Konflikte nicht zwangs­läufig konsenssprengend und dysfunktional verlaufen müssen, sondern den politischen Prozess schöpferisch beleben und dynamisieren können. Während in weiten Teilen der bundes­deutschen Friedensbewegung nach dem Stationierungs­beschluss des Bundestages im Herbst 1983 ein Gefühl der „Enttäuschung“ ob der mangelnden Resonanz ihrer Aktionen einsetzte, projizierten einige friedenspolitische Akteure die zuvor abstrakt konstatierte Kriegsgefahr auf einen konkreten dezentralen Ort und propagierten „nahraum­orientierte Handlungs­ansätze“.

    In diesem in Mutlangen ausgetragenen „Streit um den Frieden“ wurde offenkundig, dass die Befürworter sowie die Gegner der Pershing II Raketen mit entschiedenem Durchsetzungs­willen, aber dennoch integrativ, am bundes­republikanischen Konsens arbeiteten, wie durch das zweite Bundes­verfassungs­gerichtsurteil von 1995 und der daraus resultierenden Rehabilitierung der Sitzblockierer deutlich wird. Dabei kam es bei den friedenspolitischen Akteuren zu Auflösungs­erscheinungen des binären Denkparadigmas im Ost-West-Konflikt, ein „Abschied vom Kalten Krieg“ fand in dieser „dezentralen Phase“ der Auseinandersetzung zumindest im schwäbischen Mutlangen jedoch noch keineswegs statt.

    Link zur Universitäts­bibliothek Mannheim.

    Link zu Google Books.

    Kontakt: richard.rohrmoser[at]web.de

  • Dr. Philipp Scherzer

    „Do We Still Need Europe?“ Neokonservative Europabilder und transatlantische Entfremdung von den 1970er Jahren bis ins 21. Jahrhundert

    (Gefördert von der Gerda-Henkel-Stiftung, Betreuer: Gassert)

    While in the last twenty years perceptions of Europe have been subjected to detailed historical scrutiny, American images of the Old World have been almost wantonly neglected. As a response to this scholarly desideratum, this pioneering study analyzes neoconservative images of Europe since the 1970s on the basis of an extensive collection of sources. With fresh insight into the evolution of American images of Europe as well as into the history of U.S. neoconservatism, the book appeals to readers familiar and new to the subject matters alike. The study explores how, beginning in the early 1970s, ideas of the United States as an anti-Europe have permeated neoconservative writing and shaped their self-images and political agitation. The choice of periodization and investigated personnel enables the author to refute popular claims that widespread Euro-critical sentiment in the United Studies during the early 21st century – considerably ignited by neoconservatives – was a distinct post-Cold War phenomenon. Instead, the analysis reveals that the fiery rhetoric in the context of the Iraq War debates was merely the climax of a decade-old development.

    Link zur Deutschen Digitalen Bibliothek.

  • Dr. Hubert Seliger

    „Politische Anwälte?”: Die Verteidiger der Nürnberger Prozesse

    (Universität Augsburg, Betreuer: Gassert)

    Die Arbeit rückt die Strafverteidiger der Nürnberger Prozesse als eigenständige, nicht zuletzt politische Akteure neben ihren Mandanten in den Blick. Im ersten Teil der Studie werden unter Heranziehung einer breiten Quellenbasis erstmalig sämtliche Biographien der in den Nürnberger Prozessen aufgetretenen Strafverteidiger und die Zusammensetzungen der einzelnen Verteidigerteams untergliedert nach Mandanten­gruppen vorgestellt. Der zweite Teil der Studie steht unter dem Schlagwort des „politischen Anwalts“ (Otto Kirchheimer). Anhand ausgewählter Dokumente werden vor dem Hintergrund ihrer politischen Sozialisation Erklärungs- und Rechtfertigungs­ansätze prominenter Nürnberger Strafverteidiger wie Otto Kranzbühler, Rudolf Dix oder Alfred Seidl für das Dritte Reich und seiner Folgen analysiert. Abschließend untersucht die Arbeit deren Rolle in den gesellschaft­lichen Debatten um den Umgang mit dem NS-Regime und als Strafverteidiger von NS-Gewalttätern in der Bundes­republik Deutschland.

    Link zur Deutschen Digitalen Bibliothek (DNB).

  • Dr. Cristina Stanca-Mustea

    Carl Laemmle – A Transatlantic Mediator

    (Universität Heidelberg, Betreuer: Gassert)

  • Dr. Bernhard Sassmann

    Amerikanische Kultur(en) der Intelligence: Kulturelle Repräsentationen, öffentlicher Diskurs und militär­strategische Notwendigkeiten, 1914-1950

    (Gefördert durch die Gerda Henkel Stiftung, Studien­abschlussstipendium der Landes­graduierten­förderung (LGF), Betreuer: Gassert)

    Das Dissertations­projekt untersucht inwieweit sich im Zusammenspiel nationaler Traditionen, Normen und Motivations­lagen, kultureller Repräsentationen der Geheimdienste in Literatur und Medien sowie der Praxis nachrichtendienstlicher Arbeit eine spezifisch amerikanische Geheimdienstkultur herausbildete. Kulturelle Repräsentationen der Geheimdienstarbeit in Zeitungen und Belletristik formten in der Entstehungs­phase der modernen amerikanischen Geheimdienste nicht nur die gesellschaft­lichen Vorstellungen von nachrichtendienstlicher Arbeit; im öffentlichen und fach­öffentlichen Diskurs konstruierte Konzepte und Perspektiven zu diesem neuen Militärzweig wirkten darüber hinaus, so die Forschungs­hypothese, auch direkt auf die Entwicklung eigenständiger Organisations­formen, Zielsetzungen und Reformanstrengungen der amerikanischen Geheimdienste zurück.

    Chronologisch fokussiert die Arbeit auf die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts. In der Zeit des Ersten Weltkrieges liegen die Ursprünge der modernen amerikanischen Militärgeheimdienste; in der Zwischenkriegszeit wurde Military Intelligence erstmals zum Gegenstand zahlreicher öffentlicher Publikationen und fach­wissenschaft­licher Studien. Die größten Entwicklungs­schübe erfuhren die militärischen Nachrichtendienststrukturen in den USA allerdings erst ab 1940. Noch vor Kriegseintritt versuchten die Vereinigten Staaten die sehr heterogenen Auslands­nachrichtendienste erstmals zentral im Office of the Coordinator of Information (ab 1942: Office of Strategic Services/OSS) zu bündeln und  erreichten dadurch binnen kurzem eine bemerkenswerte Professionalisierung und Ver­wissenschaft­lichung.

    Mit diesem Prozess ging eine äußerst kontroverse öffentliche Bericht­erstattung über den neuen Militärzweig einher. Dessen Methoden und Effizienz wurden dabei nicht selten auch unter moralischen Gesichtspunkten kritisiert und bisweilen auch als „unamerikanisch” abgelehnt.  Die grundsätzliche Notwendigkeit nachrichtendienstlicher Tätigkeit wurde dabei gleichzeitig jedoch selten bestritten. Auch das aufstrebende Genre der amerikanischen spy novels war zentraler Teil dieses Selbstverständigungs­prozesses in der amerikanischen Öffentlichkeit. Denn auch in der Belletristik zeichnete sich dieses spezifisch-amerikanische Spannungs­feld zwischen dem mutmaßlichen Imperativ klandes­tiner Tätigkeit angesichts äußerer Bedrohungs­lagen einerseits und dem Ideal demokratischer Offenheit andererseits deutlich ab.
    Diese zwiespältige Wahrnehmung von Intelligence spiegelte sich darüber hinaus auch im Diskurs des Fach­publikums wieder. Die Kommentare regulärer Soldaten und Offiziere in Fach­zeitschriften belegen ein weitreichendes Unverständnis für die neue Intelligence-Community in den USA und Skepsis gegenüber dessen „unmilitärischen” Methoden. Dass sich Geheimdienst-Offiziere einem ausgeprägten Rechtfertigungs- und Profilierungs­druck ausgesetzt sahen, manifestiert sich im selben Textkorpus vielfach in einer betont positiven Selbstdarstellung.
    Um nachweisbar zu machen, wie die Militär- und Auslands­nachrichtendienste der USA in ihrem nationalen, soziokulturellen Kontext diskursiv bewertet wurden und wie sich vor diesem Hintergrund ihre Außen- und Selbstwahrnehmung gestaltete, werden zwei verschiedene Diskursformen untersucht: Erstens öffentliche, durch Massenmedien und durch die zeitgenössische Populärkultur vermittelte Diskurse (Tageszeitungen; Magazine und zeitgenössische spy novels/spy movies); zweitens die Behandlung des Themas in der Fach­öffentlichkeit, mit Schwerpunkt auf der Militärpublizistik (militär­wissenschaft­liche Wochen- und Monatszeitschriften).
    In jeder dieser Diskursformen werden dabei drei herausragende Diskursthemen analysiert: Erstens der Stellenwert der Geheimdienste in Gesellschaft und Militär, zweitens die besonders in der Populärkultur stark personifizierten Sinndeutungen von Intelligence und drittens die nachrichtendienstlichen Er­kenntnisinteressen, Informations­quellen und Methoden. Durch die Analyse der drei wichtigsten thematischen Diskurse über die militärischen Nachrichtendienste in zwei verschiedenen Diskursformen, lässt sich für die Vereinigten Staaten somit eine Art  „footprint” der Intelligence-Kultur bestimmen.

    Das Werk ist 2021 erschienen: https://www.nomos-shop.de/nomos/titel/die-us-geheimdienste-im-zeitalter-der-weltkriege-id-97415/


Abgeschlossene Habilitations­projekte

  • PD Dr. Maria Alexopoulou

    „Rassistisches Wissen in der Transformation der Bundes­republik Deutschland in eine Einwanderungs­gesellschaft (1940–1990)“

    (Universität Mannheim, Vorsitz des Mentorats: Philipp Gassert)

    Seit den 1960er Jahren setzte in Westdeutschland ein Prozess ein, in dem sich die Bundes­republik widerwillig und nur langsam von der Idee zu verabschieden begann, ein „Nichteinwanderungs­land“ zu sein: Ein Teil der als vorübergehende „Gäste“ verstandenen Arbeits­migrant*innen wurde sesshaft, ihre Familien zogen nach, hinzu kamen viele Menschen, die als Asylsuchende in die Bundes­republik migrierten. Das vorliegende Projekt untersucht gesellschaft­liche und politische Aushandlungs­prozesse der sozialen Konzepte „Deutscher“ und „Ausländer“ zwischen den 1960er und 1990er Jahren, in denen sich die Bundes­republik zu einer Einwanderungs­gesellschaft wandelte. Grundhypothese ist, dass die damit verbundenen Diskurse und Praktiken durch tradierte rassistische Wissensbestände geprägt waren, die in der Folge immer wieder reproduziert, aber auch transformiert und in Frage gestellt wurden.

    Rassismus ist ein diachrones Phänomen, das in unterschiedlichen zeitlichen und räumlichen Kontexten verschiedene Ausprägungen angenommen hat. Autoren wie Etienne Balibar und Stuart Hall postulierten in den 1980er Jahren einen “Rassismus ohne Rassen”: Zwar sei der Begriff ‚Rasse‘ aus öffentlichen Diskursen (zumindest in Europa) verschwunden, nicht aber das Phänomen Rassismus als Denkmuster und Praxis. Neue Begrifflichkeiten wie “Ideologien der Ungleichwertigkeit” oder auch Ausländer- und Fremdenfeindlichkeit, die besonders in Deutschland gebräuchlich sind, verstellen dabei geradezu den Blick auf die historische Kontinuität des Phänomens Rassismus. Im Kontext meiner Studie möchte ich Rassismus nicht als Ideologie verstanden wissen, sondern als Komplex von Wissensbeständen, die in Institutionen, Strukturen, Alltags­praktiken und Denkmustern auch in der „Mitte der Gesellschaft“ eingeschrieben waren und noch sind und welche die Binarität von „Ausländer“ und „Deutscher“ konstituiert und lange stabilisiert haben.

    Die Untersuchung erfolgt anhand von drei Fall­studien:

    1. Die internen Diskurse der politischen Entscheidungs­träger und die Verwaltungs­praktiken rund um die Themen Einwanderung und Einbürgerung auf allen gouvernementalen Ebenen.
    2. Eine Mentalitätsgeschichte der deutschen Bevölkerung in ihrem Bezug zu den „Ausländern“.
    3. Die Widerspiegelung dieser gouvernementalen und alltäglichen Diskurse und Praktiken bei den Migrant*innen sowie deren Selbstpositionierung zu Einwanderung und Einbürgerung.

    Ziel der Untersuchung wird es sein herauszuarbeiten, wie relevant diese Grenzsetzung der „Deutschen“ zu den „Ausländern“, wie sie durch die formaljuristischen Vorgaben stabilisiert wurde und auf der Alltagsebene lange dominierte, für die Entwicklung der Einwanderungs­gesellschaft Deutschland war, wo sich Zäsuren ergaben und wo Kontinuitäten bleiben. Die Antworten auf diese Fragen haben letztlich das Potential, eine Neu­bewertung des Weges der Bundes­republik in ein pluralistisches und demokratisches Staats- und Gesellschafts­gebilde nötig zu machen und damit ein neues „nationales Narrativ“ zu erfordern.

  • Prof. Dr. Angela Borgstedt

    Badische Anwaltschaft und sozioprofessionelles Milieu in Monarchie, Republik und totalitärer Diktatur 1864-1945, Karlsruhe 2012 (=Schriften des Rechts­historischen Museums Karlsruhe 25)

  • Prof. Dr. Reinhild Kreis

    Selbermachen im Konsumzeitalter. Werte, Ordnungs­vorstellungen und Praktiken vom späten 19. Jahrhundert bis in die 1980er Jahre.

    Ein Produkt als „selbstgemacht” zu erkennen und zu benennen, weckt höchst unterschiedliche Assoziationen. Je nach Kontext wird Selbstgemachtes als schön, hässlich, gesund, ungesund, modern, altmodisch, liebevoll oder lieblos usw. bewertet. In jedem Fall wird es abgegrenzt von Dingen, die auf andere Weise hergestellt wurden, insbesondere durch industrielle (Massen)Produktion. Hier setzt die Untersuchung an: Mit der Zunahme ge- und verbrauchs­fertiger Güter und den damit verbundenen wachsenden Wahl­möglichkeiten für Konsumenten entstanden neue Assoziations- und Sinnzusammenhänge, in denen die verschiedenen Optionen normativ aufgeladen waren. Wie das Selbermachen bewertet wurde, war dabei stets davon abhängig, wer unter welchen Bedingungen und aus welchen Motiven heraus etwas selber machte oder nicht. Mit den wachsenden Möglichkeiten, ob und durch wen etwas selbst gemacht wurde, standen zudem überkommene Wissensbestände und Fertigkeiten, Rollenbilder und Beziehungs­muster in Frage. Sie mussten neu definiert und legitimiert werden.

    Die Studie nimmt die Praktiken und die Thematisierung des Selbermachens als Ausgangspunkt, um nach Formen des Umgangs mit den Herausforderungen der modernen Konsum­gesellschaft zu fragen. Die „Verfügbarkeit der Dinge” in der Konsum­gesellschaft zog neue Konsumgewohnheiten nach sich, die jedoch erst ausprobiert und eingeübt werden mussten. Die damit verbundenen Aushandlungs­prozesse lassen sich anhand der Differenzierung zwischen Selbermachen/Nicht-Selbermachen exemplarisch nachvollziehen. Als gesellschaft­liche Selbstverständigungs­debatten zeigen sie, wie Ordnungs­vorstellungen, Wertehaltugen und Rollenerwartungen neu verhandelt wurden.

    Die Studie ist an der Schnittstelle mehrerer Forschungs­felder angesiedelt. Konsumgeschichte wird mit Alltags-, Bildungs-, Wissenschafts- und Geschlechtergeschichte verbunden. Ziel ist es, über die Praktiken und die Thematisierung des Selbermachens Formen des Umgangs mit den Herausforderungen der sich herausbildenden Konsum­gesellschaft in der Hochmoderne zu ermitteln. Um verschiedene Wege in die Konsum­gesellschaft deutlicher zu profilieren, werden die USA in einem asymmetrischen Vergleich systematisch in die Untersuchung einbezogen. Hier setzten die Entwicklung zur Konsum­gesellschaft früher und stärker ein, und als „Laboratorium der Moderne” waren die Vereinigten Staaten während des gesamten Untersuchungs­zeitraums Vor- und Gegenbild zugleich.

    Das „Selbermachen im Konsumzeitalter” wird exemplarisch für zwei zentrale Bereiche untersucht: 1. Heimwerken, und 2. Ernährung und Nahrungs­mittelzubereitung.

    Frau Kreis ist inzwischen Inhaberin des Lehr­stuhls für Geschichte der Gegenwart an der Universität Siegen. Hier gelangen sie zu ihrem Ehemaligen-Profil.

  • PD Dr. Stefan Paulus

    Die Repräsentation des Politischen. Politische Kommunikation und Selbstdarstellung zwischen Weimar und Bonn

    (Universität Augsburg, Vorsitz des Mentorats: Gassert).

    Kein historischer Zeitraum verdeutlicht die Paradoxie von Aufstieg und Fall demokratischer Ordnungen in so drastischer Weise wie das 20. Jahrhundert. In besonderer Form trifft diese Feststellung für die deutsche Geschichte zu. Flankiert von zwei Weltkriegen erlebten die Deutschen allein in den drei Jahrzehnten zwischen 1918 und 1949 vier politische Systemwechsel. Die deutsche und internationale Zeitgeschichtsforschung haben seit den 1950er Jahren ein breites Spektrum an politischen, wirtschaft­lichen, sozialen und kulturellen Faktoren herausgearbeitet, die für die Auflösung der Weimarer Republik und den nachhaltigen Erfolg der Bonner Demokratiegründung verantwortlich zeichnen. Der für die Stabilität eines demokratischen Systems nicht minder konstituierende Konnex von gesellschaft­licher Demokratieakzeptanz einerseits und öffentlicher Darstellung von Politik andererseits fand bislang jedoch kaum adäquate Beachtung. Das bestehende Forschungs-defizit verwundert insofern, als die öffentliche Wahrnehmung von Politik in modernen Massendemokratien entscheidend durch das zumeist medial vermittelte ,Bild‘ von Politik geprägt wird. Diese Form der politischen Kommunikation zwischen Regierenden und Regierten erfüllt daher eine wichtige System stabilisierende bzw. bei defizitärer Ausprägung auch destabilisierende Funktion. Neben ihrem informativen Charakter meint politische Kommunikation zudem die Übermittlung sinnlich-emotional erfahrbarer Ausdrucksformen und Botschaften in Form von Bildern, Inszenierungen, Ritualen, Symbolen, Rhetoriken und Zuschreibungen. Speziell diese performative Dimension stiftet innerhalb einer politischen Ordnung Identität, Legitimität und Loyalität. Dies gilt in besonderem Maße für Phasen fundamentaler politischer Umbrüche, wie sie sich in Deutschland nach 1918 und nach 1945 vollzogen haben. In beiden Fällen stand die sich neu formierende politische Elite vor der zentralen Herausforderung, die durch die Erfahrungen von Monarchie und Krieg bzw. Diktatur und Krieg geprägte Bevölkerung von der Notwendigkeit eines demokratischen Wandels zu überzeugen.

    An dieser Stelle setzt das vorliegende Forschungs­projekt an. Es basiert auf zwei forschungs­leitenden Hypothesen: Die erste Hypothese geht davon aus, dass eine nur defizitär entwickelte öffentliche Selbstdarstellung von Staat und Politik entscheidend zur Auflösung der Weimarer Republik mit beigetragen hat. Wie die jüngsten Biographien zu den beiden Reichpräsidenten Friedrich Ebert und Paul von Hindenburg eindrucksvoll darlegen konnten, ließ die betont nüchterne und zurückhaltende Repräsentations­kultur des Weimarer Staates und seiner Protagonisten ein Legitimitäts- und Identifikations­vakuum entstehen, welches nach Eberts Tod – mit bekanntlich fatalen Folgen für die erste deutsche Demokratie – zunächst von der öffentlichkeits­wirksamen Selbstinszenierung des vermeintlich republikanischen ,Ersatz-kaisers‘ und ,Helden von Tannenberg‘ Hindenburg und wenig später von den Propaganda- und Inszenierungs­maßnahmen der Nationalsozialisten und ihres ,Führers‘ Adolf Hitler gezielt und mit großem Erfolg gefüllt werden konnte. Diese aus demokratiepolitischer Perspektive negative ,Weimarer Erfahrung‘, so die zweite Hypothese, schärfte nach der weltpolitischen Zäsur von 1945 innerhalb der politischen Elite der jungen Bundes­republik das Bewusstsein für die Bedeutung und Notwendigkeit einer modernen und effizienten politischen Selbst-darstellung und Öffentlichkeits­arbeit. Für diese Annahme spricht die Tatsache, dass so einflussreiche wie prominente politische Persönlichkeiten wie Konrad Adenauer, Theodor Heuss, Kurt Schumacher, Paul Löbe, Marie-Elisabeth Lüders, Hermann Ehlers oder Carlo Schmid wenigstens zwei Generationen angehörten, die beinahe sämtliche Systemwechsel seit Ende des Kaiserreichs mehr oder weniger bewusst durchlebt hatten, ja teilweise – wie im Falle Adenauers, Löbes oder Lüders – bereits vor dem Schicksalsjahr 1933 eine politische Funktion inne hatten. Aufgrund dieser jeweiligen generations­spezifischen Erfahrungen war sich das politische Spitzenpersonal der zweiten Republik nicht allein der mit einer öffentlichkeits­wirksamen politischen „Propaganda” und Selbstdarstellung verbunden Gefahren, sondern auch den damit einhergehenden demokratiepolitischen Chancen bewusst. Für sie stand außer Frage, dass der neuerliche Demokratieversuch durch eine im Vergleich zur Zwischenkriegszeit effizientere, d.h. in erster Linie systemstabilisierende Form der politischen Kommunikation begleitet werden müsse. Diesem Ansinnen entsprach beispielsweise der vergleichsweise medienwirksame, oftmals bewusst symbolisch aufgeladene und zugleich autoritäre Regierungs­stil des ersten Bundes­kanzlers, dem es laut eines Artikels in den Frankfurter Heften aus dem Jahre 1951 erfolgreich gelungen sei, den obrigkeits­hörigen „Hindenburg-Deutschen” mit der demokratischen Staats­form auszusöhnen.

    Unter Berücksichtigung der Gegebenheiten in der Weimarer Republik besteht das Hauptziel des Forschungs­vorhabens darin, zu analysieren, inwieweit diverse generations­spezifische Erfahrungen mit dem Scheitern der Weimarer Republik in der Gründungs- und Konsolidierungs­phase der Bundes­republik bei den damaligen politischen Eliten einen empirisch nachweisbaren Lernprozess ausgelöst haben und welche konkreten Methoden bzw. Strategien medialer Politikvermittlung und politischer Öffentlichkeits­arbeit auf dieser Er­kenntnisbasis mit dem Ziel der Systemstabilisierung bzw. -konsolidierung entwickelt wurden. Folgende Themen­bereiche und Untersuchungs­schwerpunkte stehen im Zentrum der vergleichend angelegten Studie:

    Repräsentation der Verfassungs­organe (Reichspräsident/Bundes­präsident; Reichskanzler/Bundes­kanzler; Reichstag/Bundestag).
    Kommunikation als politische Bildung (Reichszentrale für Heimatdienst/Bundes­zentrale für politische Bildung; Reichspresseamt/Bundes­pressamt)
    Staats­symbolik, Zeremoniell, Protokoll
    Biographische Pfade von Weimar nach Bonn (Marie Elisabeth Lüders, Paul Löbe, Hermann Ehlers, Otto Lenz)

    Das Projekt versteht sich somit als zeithistorischer Beitrag zu einer ,Kulturgeschichte des Politischen‘ (Barbara Stollberg-Rilinger).

  • Prof. Dr. Edith Raim

    Justiz zwischen Diktatur und Demokratie. Der Wiederaufbau der Justiz in den Westzonen unter alliierter Aufsicht und die Ahndung von NS-Verbrechen 1945-1949/50

    (Universität Augsburg, Vorsitz des Mentorats: Gassert)

    Obwohl sich die Geschichts­wissenschaft über Jahrzehnte intensiv mit der alliierten Besatzungs­herrschaft von 1945 bis 1949 beschäftigt hat, gibt es überraschenderweise dennoch unbearbeitete Themen. Dazu gehört auch die Geschichte des Wiederaufbaus der deutschen Justiz in den Westzonen und ihre Ahndung der NS-Verbrechen. Tatsächlich haben Forscher immer wieder versucht, sich diesem Gegenstand zu nähern, mußten jedoch an der abschreckenden Quellensituation scheitern. Die einschlägige Überlieferung bei Länder­justiz­ministerien, Generalstaats­anwaltschaften oder Oberlandes­gerichten ist vielfach außerordentlich dürftig, teils auch inexistent. Einen lebhaften Eindruck dieses Mangels gab bereits der erste nordrheinwestfälische Justiz­minister, der bekannte, sein ganzes Ministerium habe in seine Aktentasche gepaßt. Warum sollte es nun ausgerechnet den Projektbearbeitern im Institut für Zeitgeschichte bei der Suche nach Quellen anders gehen?

    Dank der großzügigen Förderung des Projekts durch das Auswärtige Amt konnte die sogenannte Gegenüberlieferung in großem Maße erschlossen werden. In den Archiven der westlichen Alliierten sind reichliche, bisher für die deutsche Justizgeschichte völlig ungenutzte Aktensammlungen vorhanden. Für die Rekonstruktion der Neuanfänge der Justiz in Westdeutschland wurde daher auf die Unterlagen der westlichen Alliierten zurückgegriffen, die sich in den National Archives in den USA und in Großbritannien sowie in den Archives de l’Occupation Française en Allemagne et en Autriche in Colmar befinden.

    Jede westliche Militärregierung hatte eine Rechts­abteilung und bei jeder dieser Rechts­abteilungen gab es ein Referat, das sich nur mit der deutschen Justiz befaßte. Angehörige dieser Einheiten führten Inspektions­reisen zu den deutschen Gerichten durch und legten ihre Eindrücke in teils überaus detaillierten Berichten nieder, die es ermöglichen, die Ausgangssituation der deutschen Justiz zu skizzieren. Gleichzeitig sind diese Rapporte interessante Dokumente der interkulturellen Kommunikation wie des immateriellen Kulturtransfers hinsichtlich alliierter Rechts­konzeptionen.

    Der Aufbau eines funktionierenden deutschen Rechts­wesens stellte eine große Herausforderung sowohl für die deutsche Justizverwaltung als auch die westlichen Alliierten dar. Die westlichen Alliierten sahen sich dem Problem gegenübergestellt, daß einerseits nach der Willkürjustiz des Dritten Reichs die Kontrolle der deutschen Justizbehörden bitter nötig schien, anderseits zum Aufbau eines Rechts­staats die Unabhängigkeit der Justiz respektiert werden mußte.

    Nach der Schließung der deutschen Gerichte bei Kriegsende durch die Alliierten und der Abschaffung diverser NS-Gerichte nahmen bereits im Sommer 1945 die ersten deutschen Amts- und Landgerichte ihre Tätigkeit wieder auf. Die materiellen Bedingungen des Wiederaufbaus für die Justiz spotteten oft jeder Beschreibung, so daß Gerichte buchstäblich in den Trümmern hausten. Das größte Problem aber stellte das deutsche Justizpersonal dar, das durch die Beteiligung an der Willkürjustiz des Nationalsozialismus jenseits aller Rehabilitierung kompromittiert war. Obwohl Amerikaner, Briten und Franzosen einer mehr oder weniger identischen Personalsituation gegenüberstanden, war ihr Umgang mit der deutschen Justizverwaltung doch sehr unterschiedlich. Die Amerikaner waren zumindest anfangs am unerbittlichsten, was die Entnazifizierung anging und holte vielfach bereits vor 1933 aus Altersgründen pensionierte Staats­anwälte und Richter in den Dienst zurück, so daß die Justizverwaltung in Teilen einem Seniorenheim glich. Die strenge amerikanische Entnazifizierungs­politik stieß allerdings an ihre Grenzen, als kaum mehr unbelastete Staats­anwälte und Richter gefunden werden konnten, gleichzeitig aber eine Vielzahl von Fällen abgeurteilt werden sollte. Die Briten und Franzosen waren dagegen deutlich weniger ehreizig in ihren Säubungs­bestrebungen und beschränkten sich darauf, zuverlässige Personen in Führungs­positionen zu holen.

    Ein Problemkomplex, der die alliierten Militärgerichte und die deutsche ordentliche Justiz in vieler Hinsicht einte, war die Ahndung von NS-Verbrechen. Vor den Gerichten der Alliierten wurden die völkerrechtlich relevanten Straftaten verhandelt, die von Deutschen an alliierten Opfern begangen worden waren, also insbesondere während des Krieges. Für die Verbrechen, die von Deutschen an anderen Deutschen bzw. Staatenlosen verübt worden waren, sollten deutsche Gerichte zuständig sein. Doch auch hier unterschieden sich die westlichen Alliierten in ihrem Vorgehen. Während die britische und die französische Besatzungs­macht den deutschen Gerichten erlaubte, das Kontrollratsgesetz Nr. 10 anzuwenden, in dem u.a. der Straftatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit festgelegt war, beschloß die amerikanische Militärregierung, die deutschen Juristen dazu nicht zu ermächtigen, so daß in der amerikanischen Zone lediglich das Strafgesetzbuch zur Anwendung kam. Diese unterschiedliche Handhabung des Kontrollratsgesetzes Nr. 10 führte zu großen Differenzen in der Strafverfolgung zwischen den Zonen und zu lebhaften juristischen Kontroversen. Die strafrechtliche Aufarbeitung des Nationalsozialismus stellte die deutsche Justiz vor bislang unbekannte Fragen, von denen wohl die schwierigste war, ob und wie das Unrecht des Dritten Reiches mit den Mitteln des Rechts­staates geahndet werden konnte.

    Nie wieder sollte soviel ermittelt werden wie in den Jahren der Besatzungs­herrschaft, da jede der in Westdeutschland existierenden Staats­anwaltschaften mit der Aufklärung von NS-Verbrechen befaßt war. Allein in den Zeitraum 1945 bis 1949 fallen über 13.000 eingeleitete Ermittlungs­verfahren und Prozesse, die dank der am IfZ entstandenen Datenbank erstmals vollständig erfaßt wurden. Westdeutschland ist häufig der Vorwurf einer verspäteten Auseinandersetzung mit den Verbrechen des Nationalsozialismus gemacht worden. Diese Kritik kann allerdings nur derjenige erheben, der die frühen Ahndungs­bestrebungen ignoriert. Gerade weil es diese Vielzahl früher Prozesse gab, konnte sich die (irrige) Vorstellung breit machen, es sei – von alliierter und deutscher Seite – bereits alles aufgeklärt.

    Der norwegische Sozial­wissenschaft­ler Jon Elster, der sich mit den Merkmalen der sogenannten transitionalen oder Übergangs­justiz beschäftigt hat, definiert als ihre herausragenden Charakteristika Gerichts­verfahren, Säuberungen und Reparationen. Für einen kurzen Moment in der Geschichte, als es das Dritte Reich nicht mehr und die Bundes­republik noch nicht gab, fand all dies gleichzeitig in Deutschland statt: die strafrechtlichen Prozesse vor dem Internationalen Militärgerichtshof, den Militärtribunalen der Alliierten in ihren Zonen und den deutschen Gerichten, Entnazifizierung, sowie der Beginn von Restitution und Entschädigung. Es ist vielleicht eine Ironie der Geschichte, daß von all diesen erwähnten Mitteln zur „Vergangenheitsbewältigung” es gerade die deutschen NS-Prozesse jener Jahre sind, die am stärksten in Vergessenheit geraten sind.