Forschungs­stelle: Widerstand gegen den Nationalsozialismus im deutschen Südwesten

Leitung: Prof. Dr. Angela Borgstedt

Die Erinnerung an den Widerstand gegen den Nationalsozialismus spiegelt zeithistorische Erfahrungen. Das war nicht immer so. Noch Anfang der sechziger Jahre war es nicht selbstverständlich, davon auszugehen, dass sich politische Maßstäbe auch im Widerstand gegen den Nationalsozialismus gebildet und befestigt, sondern auch bewährt hätten. Damals taten sich die Deutschen trotz des regelmäßigen öffentlichen Erinnerns an den Widerstand schwer mit dem Eingeständnis, dass es zur Anpassung und Folgebereitschaft Alternativen gab. Immer wieder rückten sie Regimegegner in das Zwielicht. Zunächst bezeichneten sie diese als Hoch-, dann als Landes­verräter, und seit den fünfziger Jahren rückte man sie zunehmend in das Halbdunkel, das unvermeidlich entsteht, wenn man die Grenzen von Konfrontation und Kooperation, von Opposition und Funktions­erfüllung im Verwaltungs- und Wehrmachtsapparat nicht zu bezeichnen, sondern lebens­praktisch, geradezu täglich, gleichsam existenziell auszuhalten hat. Hinzu kam der Versuch der parteipolitischen Ausnutzung von Traditions­strängen, der zugleich exklusive Ansprüche erhob.

Der Widerstand verkörperte eine Alternative zu seiner Zeit. Zugleich hatte er das Zwielicht kennengelernt, das Opposition im Dritten Reich unausweichlich nach sich zog. Zwielicht unterscheidet sich von der Dunkelheit, es zeichnet sich durch eine Ambivalenz aus, die ein großes Potential in sich trägt. Denn wer im Zwielicht steht und sich dort für Klarheit und Wahrheit, für Eindeutigkeit entscheidet, der befreit sich aus eigener Kraft, der bahnt sich einen neuen Weg.

Vor diesem Hintergrund ist es nicht verständlich, wenn wir immer wieder mit Blick auf den Widerstand über die angebliche Verstrickung von Regimegegnern in Strukturen des Regimes diskutieren. Sie wussten besser als wir, dass es in Diktaturen keine Schuldlosen gibt. Ihr Exempel ist nicht die Schuldlosigkeit, sondern die Verantwortungs­fähigkeit, der Wille zur Verantwortung, der aus der Schuld herausführt.

Eberhard Bethge, der Freund von Dietrich Bonhoeffer, brachte dies vor fast dreißig Jahren zum Ausdruck. Er entfaltete das breite Spektrum der Widerständigkeit, das von inneren Entwicklungs­stufen der Nonkonformität bis zur aktiven Konspiration reichte, die “keine Deckung” kennt. Diese Rede macht allen, die nach völlig unbelasteten Zeitgenossen diktatorischer Systeme suchen, deutlich, dass im Widerstand eine Entscheidung erfolgt, die Folgen für das weitere Verhalten zeitigte und so ein Risiko entfalteten, das schließlich den Tod bedeutete.

Der Weg in den Widerstand ist ein Prozess nach einer persönlichen Entscheidung, die Ergebnis der Kraft zur Distanzierung von Konformitätsdruck und von den Zeitströmungen bedeutet, denen sich der Mensch – Zuschauer und Feiglinge in einem – gern anpasst. Um Schwierigkeiten zu vermeiden, Unbehagen zu verdrängen, in einer Nische zu überleben. Wer sich angesichts der Wirklichkeit für ein Risiko entscheidet, bewahrt sich die Kraft zur Distanzierung aus Traditionen, aus Empörung und Skepsis, aus Mitmenschlichkeit. Er will nicht nur überleben, sondern stellvertretend für andere handeln. Dazu braucht er die Fähigkeit zur Empörung, zum genauen Hinsehen, zum Willen, etwas ganz genau sehen zu wollen. “Nichts gesehen, nichts gewusst!” – das ist eine Lösung für jene, die sich nicht als “Füllsel” ihrer Zeit verstehen, wie Moltke einmal sagte, die wussten, was es bedeutet, aufgrund einer ganz persönlichen Entscheidung das “Nessushemd” gewählt zu haben und es nicht mehr abzulegen.

Deshalb sollten wir über die Entscheidung hinausgehend nach den Voraussetzungen einer Fähigkeit und des Willens fragen, Verantwortung zu übernehmen, selbst dann, wenn man dabei schuldig wird – in der Tat: Verantwortung macht nicht schuldlos. Das wussten die Regimegegner, und deshalb kreisten ihre Fragen immer wieder um Schuld – und Verantwortung. Deshalb beeindruckt ihre Haltung die Nachlebenden. Und deshalb ist es sinnvoll, sich mit dem Widerstand zu beschäftigen.