Wo sich Sport und Politik trafen

Wagenrennen im Byzantinischen Reich

(This text is also available in English)

Die römischen Wagenrennen waren im Byzantinischen (oder Oströmischen) Reich des 6. Jahrhunderts das beim Volk beliebteste Sportevent und hatten zu diesem Zeitpunkt sogar die die berüchtigten Gladiatorenkämpfe und Tierhetzte der frühen Kaiserzeit überdauert. Die Regeln des Sportes blieben dabei im Wesentlichen gleich: Ähnlich wie heute gab es bei den meisten Wagenrennen Startboxen und eine Ziellinie, sodass das Rennen dem modernen Zuschauer wohl sehr vertraut vorkommen würde. Es gab jedoch auch verschiedene Variationen um die Rennen weiterhin spannend zu gestalten. Ein besonderer Favorit war das sogenannte diversium, bei dem der siegreiche Wagenlenker sein Pferdegespann mit dem des Verlierers tauschen musste. Siege, die bei einer Revanche erlangt wurden, bewiesen, dass der Wagenlenker nicht aufgrund seiner Pferde und seines Equipments gewonnen hatte, sondern aufgrund seiner eigenen Fähigkeiten. Die kaiserliche Regierung verwaltete und finanz­ierte vier verschiedenen Teams (die Blauen, Grünen, Weißen und Roten), welche die Pferde und die Ausrüstung besaßen und die Wagenlenker beschäftigten. Byzantinische Wagenrennen wurden in großen Arenen, den sogenannten Hippodromen, abgehalten. Während der Blütezeit der Pferderennen im 5. und 6. Jahrhundert war der gesamte östliche Mittelmeerraum mit Hippodromen übersät.

Nach dem 6. Jahrhundert nahm die Bedeutung der Pferderennen in der byzantinischen Welt generell ab, was zum Großteil daran lag, dass die Rennen stark mit den Staats­finanzen verflochten waren. Die byzantinische Regierung musste im 7. Jahrhundert im Zuge des persischen Krieges und der anhaltenden arabischen Einfälle herbe Rückschläge einstecken, was zu finanz­iellen Schwierigkeiten und damit einhergehend zum Verschwinden der Rennen, von denen wir in dieser Zeit immer weniger hören, in den Provinzstädten führte. Nichtsdestotrotz gab es Pferderennen und die dazugehörigen Teams in Konstantinopel bis ins 12. Jahrhundert, wenn auch in kleinerem Rahmen. Obwohl der vierte Kreuzzug im Jahr 1204 vermutlich eine gewisse Rolle beim endgültigen Verschwinden der Rennen spielte, so scheint es doch plausibel, dass Wagenrennen bereits in den Jahren davor in ihrer Bedeutung zurückgingen.

Dass die Kaiser Wagenrennen in Konstantinopel nicht nur wegen ihres Unter­haltungs­potenzials austrugen, lag wohl daran, dass sie eine gute Gelegenheit für ein persönliches Zusammentreffen von Kaiser und Volk boten. Denn auch der Kaiser besuchte häufig die Rennen, so wie selbstverständlich auch viele der Bürger Konstantinopels. Im Hippodrom fanden schätzungs­weise 100.000 Besucher Platz, was es zur größten Plattform für die kaiserliche Interaktion mit dem Volk machte. Generell scheint der Besuch des Kaisers im Hippodrom mit der Erwartung (oder zumindest der Hoffnung) verbunden gewesen zu sein, von der dort versammelten Menge bejubelt oder anderweitig unter­stützt zu werden. So ließ zum Beispiel Kaiser Maurikios im Jahr 602 Herolde zu der Menge im Hippodrom sprechen, um ihnen zu versichern, dass die Revolte des Offiziers Phokas nicht ernstzunehmen sei. Danach ordnete er eine Reihe von Wagenrennen an, um die versammelte Menschenmenge zu unter­halten. Die Fans der Blauen reagierten hierauf mit dem Anstimmen einer Lobeshymne auf Maurikios, in der sie ihm (wie es sich herausstellen sollte fälschlicherweise) den Sieg über seine Feinde voraussagten (Theophylaktos, Geschichte 8, 7, 8–9), ein klares Beispiel der kaiserlichen Versuche, sich die Zirkusparteien politisch zu Nutze zu machen.

Natürlich kamen die Zuschauer nicht nur ins Hippodrom um ihren Kaiser zu unter­stützen. Häufig hatten sie die Hoffnung selbst Bitten an den Kaiser herantragen zu können, um das alltägliche Leben verbessern zu können. Diese Bitten standen in manchen Fällen auch direkt mit den Wagenrennen in Verbindung, zum Beispiel als die Fans aller vier Farben in der Hoffnung riefen, dass der berühmte Wagenlenker Porphyrius ihrem Team zugeordnete werden und somit für sie am Rennen teilnehmen solle. In vielen Fällen reichten die Anfragen jedoch über die Belange der Rennen hinaus. So protestierte das Volk im Hippodrom 512 gegen den Kaiser Anastasios und verlangten, dass seine geistlichen Berater wilden Tieren zum Fraß vorgeworfen werden sollten. Anastasios selbst reagierte hierauf indem er ohne seine Krone im Hippodrom erschien und der Menge versprach, allen Bitten nachzugeben und er schwor sogar abzutreten, wenn sie dies wünschten.  Diese Reaktion beschwichtigte die Menge, die Anastasius bejubelte und danach friedlich abzog (Johannes Malalas, Weltchronik 16, 19). Während der Blütezeit des byzantinischen Wagenrennens war das Spektakel also nicht nur eine Form des Entertainments, sondern bot auch ein Forum für Diskussionen zwischen Kaiser und Volk, wobei sich beide Seiten aus diesem Austausch etwas erhofften.  Die Wagenrennen gaben dem Kaiser die Möglichkeit mit einer großen Anzahl seiner Unter­tanen gleichzeitig zu kommunizieren, während das Volk die Chance hatte, den Kaiser zu ihren Bedingungen relativ anonym zu konfrontieren. Dieser Austausch war ein essentieller Bestandteil des Gebens und Nehmens der byzantinischen Regierung und war unmittelbar mit den Ereignissen vor, nach und während der Rennen im Hippodrom verbunden.

David Alan Parnell, 13. Oktober 2017

David Alan Parnell ist Assistant Professor für Geschichte an der Indiana University Northwest

(Über­setzung: Melanie Meaker)

 

Mehr zu diesem Thema:

Alan Cameron, Circus factions: Blues and Greens at Rome and Byzantium (Oxford, 1976).

David Alan Parnell, “Spectacle and Sport in Constantinople in the Sixth Century” in Companion to Sport and Spectacle in Greek and Roman Antiquity, edited by Paul Christesen and Donald Kyle, Malden 2014, S. 633–645.

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